Friederisiko

Die Jahrhundertschau in Potsdam

No. 02/2012

Von Wilfried Rogasch

Gleich eines vorweg: Ohne Friedrich den Großen wäre Bayern heute kein deutscher Freistaat, sondern ein Teil Österreichs. Was die Ausstellung verschweigt: Der Pfälzer Wittelsbacher Karl-Theodor, der 1777 Kurfürst von Bayern wurde, konnte sich mit den bayerischen Verhältnissen nie anfreunden. Er strebte danach, Bayern an Österreich abzutreten und im Gegenzug die österreichischen Niederlande (in etwa das heutige Belgien) zu erlangen. Als Friedrich von dem Plan erfuhr, drohte er Österreich und Bayern mit dem Krieg und mobilisierte seine Armee. Er sah in dem Tauschhandel eine Stärkung seines Widersachers Österreich. Auch die bayerischen Untertanen wollten nicht zu Österreich und dachten „fritzisch“. Das Tauschgeschäft unterblieb und Friedrich erfreute sich in Bayern fortan großer Popularität. Die Mega-Ausstellung zu Friedrichs 300. Geburtstag lohnt in jedem Fall eine Reise nach Potsdam. Sowohl für diejenigen, die Potsdam und das neue Berlin schon besucht haben, als auch für die, die dieses Kleinod deutscher Residenzstädte noch nicht kennen. Rechtzeitig zum Jubiläum sind Teile des Potsdamer Neuen Palais und viele Kunstwerke restauriert worden. Jede Epoche hatte ihr eigenes Friedrichbild – wobei zunächst das positive deutlich überwog. Den meisten galt er als militärischer Held und strategisches Genie. Für die ungeliebte Minderheit war er ein Kriegstreiber und Menschenverächter. Besonders die NS-Propaganda instrumentalisierte ihn als Kriegshelden, der in ausweglosen Situationen durchgehalten und dadurch seinen Staat vor dem Untergang gerettet hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Friedrich II. wegen seiner Angriffskriege als weitgehend diskreditiert. Doch sein Image als Aufklärer und Modernisierer konnte der König selbst in der DDR, die sein Reiterstandbild in den 1980er Jahren wieder „Unter den Linden“ in Berlin aufstellen ließ, bewahren.

Neues Palais von Sanssouci, Grottensaal

Neues Palais von Sanssouci, Grottensaal

Mit der Wahl des Ausstellungstitels Friederisiko hat das Ausstellungsteam um Hartmut Dorgerloh, Reinhard Alings und Jürgen Luh Stellung bezogen und das Gefährliche, Aggressive und Doppelgesichtige des Preußenkönigs treffend umschrieben. Der Monarch machte gern ein Geheimnis um seinen wahren Charakter, seine Moral und seine Absichten. Doch alles sollte seinem Ruhm dienen, der, so dachte er, am besten durch siegreiche Schlachten zu erlangen sei – auch die 180 000 preußischen Soldaten, die im siebenjährigen Krieg ihr Leben ließen. Wer bis zum Ausstellungsende am 28. Oktober nicht nach Potsdam reisen kann, sollte sich die beiden prachtvollen Ausstellungsbände besorgen, die im Münchener Hirmer Verlag erschienen sind. Namhafte Autoren stellen die Früchte der internationalen Konferenzen vor, die seit 2007 als wissenschaftliche Vorbereitung auf die Ausstellung stattgefunden haben und sich allen nur denkbaren Aspekten zur Persönlichkeit Friedrichs des Großen widmeten. Die Fotostrecken von ganzseitigen Abbildungen vermitteln einen guten Eindruck von den jüngst renovierten Prunkräumen des neuen Palais, aber gewähren auch einen Blick hinter die Kulissen: die Großbaustelle mit nacktem Ziegelmauerwerk, Holzverschalungen ohne Seidenbespannungen und abgestellten Bilderrahmen. Bis das Schloss vollständig restauriert sein wird, werden wohl noch Jahrzehnte verstreichen – Zeit genug, Schloss Sanssouci zu besichtigen und das Grab von Friedrich aufzusuchen. Auf der schlichten Grabplatte, die von den Grabplatten seiner Windhunde umringt ist, liegen allzeit frische Blumen und zumeist auch einige Kartoffeln. Die hat der „alte Fritz“ in Brandenburg eingeführt, wo sie auf dem sandigen Boden gut gedeihen. Der Anblick dieser Feldfrüchte und die damit verbundene sentimentale Wertschätzung zeigt, dass Friedrich der Große für seine Zeitgenossen eben doch immer mehr war als nur ein militärisches Risiko.