Olaf Nicolai

Ein Porträt

No. 02/2012

Von Cornelia Gockel

Einen Besuch wert: Olaf Nicolais La Lotta, 2006, Fell, Horn, Polyester, elektrische Heizung, Objekttemperatur 43,2 °C © Fabrizio Bensch/Reuters/Corbis

Einen Besuch wert: Olaf Nicolais La Lotta, 2006, Fell, Horn,
Polyester, elektrische Heizung, Objekttemperatur 43,2 °C © Fabrizio Bensch/Reuters/Corbis

Ortstermin in der Backstube des Café Luitpold. Konditormeister Albert Ziegler weiht uns in die Geheimnisse der Herstellung von Schokotrüffeln, Prinzregententorte und Baumkuchen ein.  Die Veranstaltung findet im Rahmen der Marcel Duchamp-Ausstellung im Kunstbau im Lenbachhaus statt. Olaf Nicolai will über die Bedeutung des Readymades sprechen, als dessen Erfinder Marcel Duchamp gilt. In der Backstube von Albert Ziegler hat er nicht nur den Schokolade überzogenen Baumkuchen in Form eines Rundporträts von Duchamp bestellt, sondern auch die Hintergründe der Produktion erkundet. „Der Alltag ist der Humus, aus dem alles kommt“, erklärt er sein Interesse. Bei Olaf Nicolai hängt alles mit allem zusammen. Es ist wunderbar, ihm zuzuhören, wie er mit Leichtigkeit ein Netz aus Fäden spinnt, das Alltagskultur, Kunst, Politik und Literatur miteinander verbindet. Für Kunst hat sich der 1962 in Halle/Saale geborene Nicolai schon früh interessiert, aber der Ausbildung und dem Auswahlverfahren an den staatlichen Kunsthochschulen in der ehemaligen DDR misstraut. So bewarb er sich für Germanistik und musste während seines Studiums ein Lesepensum absolvieren, das die meisten Menschen nicht in ihrem ganzen Leben bewältigen. „Manchmal 600 Seiten am Tag“, erzählt er von dieser Zeit. Die Kunst diente dabei als Ausgleich. Geschadet hat es ihm nicht, auch wenn die gut gefüllten Bücherregale in seiner Berliner Wohnung fast unter der Last zusammenbrechen.

Seine künstlerische Karriere startete er als Maler – figurativ, wie die meisten seiner Kollegen aus der ehemaligen DDR. Der Leipziger Galerist Gerd Harry Lybke, der auch Neo Rauch und Matthias Weischer vertritt, nahm ihn unter Vertrag. 1989 hörte er auf zu malen. „Ich interessiere mich eher für konzeptuelle, theoretische Fragen, die in der Malerei nicht zu verhandeln sind“, erklärt er rückblickend seinen Schritt. Seitdem entstehen komplexe Objekte in verführerischer Ästhetik, deren materielle Form Reflexionsprozesse anregen, wie die immergrünen Ahornblätter auf dem Oberlicht des Museums Hamburger Bahnhof in Berlin, das ausgestopfte schwarze auf eine Körpertemperatur von 42 Grad beheizte Einhorn in der Galerie Eigen + Art in Leipzig oder der aufwendig gewebte Seidenvorhang mit dem Titel Warum Frauen gerne Stoffe kaufen, die sich gut anfühlen in der Arbeiterkammer in Wien.

In Nürnberg im Neuen Museum überzeugte er durch einen Pavillon aus schwarzen Perlenschnüren in der Ausstellung 30 Künstler /30 Räume, und auf der diesjährigen Art Basel sorgte er mit einer chromglänzenden Stange, an der Scheinwerfer fetischhaft auf- und abtanzen, für Furore. Seit letztem Jahr ist er auch Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München – ein Gewinn, denn mit seinen Studierenden teilt er die Dinge, die ihn selbst interessieren. Dabei muss es – ähnlich wie in der Backstube vom Café Luitpold – gar nicht allein um Kunst gehen. Vielmehr käme ein „Institut für praktische angewandte Ästhetik“, wie er sagt, seiner Idealvorstellung von der Künstlerausbildung nahe. Einen kleinen Vorgeschmack, wie das in der Praxis aussehen könnte, gibt der Abend zu Marcel Duchamp. Neben gar nicht so trockener Theorie zum Readymade reicht Olaf Nicolai Sekt, Kaffee und den saftigen Baumkuchen, den Konditormeister Ziegler am Vormittag fabriziert hat. Klaviermusik und Gespräche füllen den Raum. So erschließt sich der komplexe Kosmos von Marcel Duchamp auf wunderbar sinnliche Weise.