Kunst von Einzelnen für jeden Einzelnen

No. 02/2012

Von Eva Kraus

Die documenta/dOCUMENTA ist ein Geisteszustand. Sie ist eine internationale Ausstellung der aktuellen zeitgenössischen Produktion, der Ort, an dem alle 5 Jahre für 100 Tage sich die internationale Kunstszene versammelt, an dem Kunstgeschichte geschrieben wird. Gerade die diesjährige Veranstaltung, dOCUMENTA (13), schlägt Brücken zurück in die Geschichtsträchtigkeit ihrer Institution. Historisch ist diese noch immer international renommierteste Ausstellung zeitgenössischer Kunst zwar nur als Nebenprodukt der Bundesgartenschau 1955 (und die wiederum als Trostpflaster für den Misserfolg um die Bewerbung als Bundeshauptstadt) entstanden, aber umso dezidierter aus dem Bewusstsein heraus, dem Trauma entgegenzuwirken, das der zweite Weltkrieg hinterließ. Sie entstand zu einem Zeitpunkt, an dem die Kunst einerseits als internationale Sprache und als Welt gemeinsamer Ideale und Hoffnungen von größter Bedeutung zu sein schien und die Kunst zugleich als nutzloseste aller denkbaren Aktivitäten empfunden wurde. Sie entstand aus dem Zusammenbruch und Wiederaufbau des gesellschaftlichen Koordinatensystems, das sich moralisch versuchte neu zu formieren – und ausloten musste, welche Rolle die Kunst dabei spielen kann.

Auch das ist heute noch die wichtigste Frage. Kürzlich erst ist eine Schriftensammlung zum 100-jährigen Geburtstag des berühmten Kunsthistorikers Werner Haftmann im Hirmer Verlag erschienen, der federführend an der Ausrichtung der documenta beteiligt war. Diese Suche bzw. das Finden (nach Pablo Picasso: „Ich suche nicht, ich finde“) thematisierte er in seiner ersten documenta-Rede 1955. Seine letzten Worte könnten auch für die diesjährige Ausstellung in Kassel gelten und mögen damals wie heute ratgebend sein. Diese Ausstellung „hat mit Staatlichem [Auftrag, Anm. der Autorin] nichts zu tun. Kunst ist von Einzelnen gemacht und gedacht für jeden Einzelnen von Ihnen – als Einzelnen. Da wartet ein wunderbares, unbekanntes Reich mit einer Fülle von Provinzen. Es steht jedem frei, sich darin zu ergehen nach seiner Weise. Und wenn er offen ist und mit einer erwartungsvollen Spannung sich ergeht und nicht etwas „sucht“, wird er wundervolle Funde machen von ungefähr, die mit ihrem Glanz ihm das Grau des Alltags noch lange erhellen werden. Vielleicht nimmt er den Glanz mit, und dann wird sich sein Leben wirklich ändern.

dOCUMENTA (13) in Kassel 
9. Juni –16. September 2012 täglich 10 –20 Uhr 
www.d13.documenta.de