Die Frau ohne Aber

Regina Moths, Buchhändlerin

No. 03/2012

Das Jammern der Leute über die allzu vollen heimischen Bücherregale kann Regina Moths nicht nachvollziehen, „in Schuhläden hört man auch nie: Schlimm, ich hab’ keinen Platz mehr für neue Schuhe!“ Wer die preisgekrönte Buchhandlung „Literatur Moths“ am Münchner Isartor betritt, kommt sicherlich nicht unter einem Paar Bücher heraus. Schon lange gilt sie als Ausflugsziel und geliebte Bücherfalle – auch und gerade in Zeiten des boomenden Internetgeschäftes. In ihrem Buch Vom Glück mit Büchern zu leben sprechen Stefanie von Wietersheim und Claudia von Boch mit Prominenten der Literatur- und Kulturszene über ihre Buchleidenschaften und verraten, wie Frau Moths es geschafft hat, selbst die Polizei an ihr Schaufenster zu locken.

Ihre Finger haben leichte Schnittspuren von den Seiten des Papiers, winzige Tropfen getrockneten Bluts kleben auf der hellen Haut. „Das ist bei Buchhändlern so, man schneidet sich beim Umgang mit Büchern“, sagt Regina Moths und blättert weiter im Bildband der Fotografin Gisèle Freund, der auf ihrem langen Schreibtisch liegt. Aufnahmen der Pariser Rive Gauche aus den 1920er und 30er Jahren, sie zeigen die legendären Buchhändlerinnen Adrienne Monnier und Sylvia Beach vor ihren Geschäften. „Beach finanzierte den Ulysses von Joyce und ging darüber bankrott“, kommentiert Moths lakonisch und blättert weiter zu einem der seltenen Farbfotos, das Virginia Woolf zeigt. Wie Adrienne Monnier und Sylvia Beach ist auch Regina Moths ihren ganz eigenen Weg mit einem Büchergeschäft gegangen, das sich seit 17 Jahren unabhängig von Bestsellerlisten behauptet. Kein flirrender Lillifee-Mainstream, keine lüsternen Charlotte-Roche-Stapel, auch nicht Schlank im Schlaf im Schaufenster. „Ich muss 25 Bücher lesen, um eins zu finden, das ich verkaufen will, mein Platz ist sehr begrenzt“, sagt sie.

Man findet bei „Literatur Moths“ am Münchner Isartor Titel, von denen man nie geträumt hätte, dass jemand so etwas schreibt und druckt: ein Neruda-Gedicht als Bilderbuch, kunterbunte Künstler-Comics, Lieblingsgerichte großer Mafiosi oder den Dürer Verführer. „Der Zauber des Lesens ist nach all den Jahren immer noch da, sonst würde ich es nicht machen. Wir haben viele liebreizende Kunden, sie bekommen immer einen Kaffee oder einen Earl Grey. Und das ohne die Geste einer evangelischen Teestube.“ Als umfassende Gestalterin dekoriert Moths ihre Schaufenster selbst. Für eine Vitrine zu Ernst Jandls Gedichtband lechts und rinks fuhr sie auf den städtischen Bauhof, um Verkehrsschilder mit Abzweigesymbolen zu besorgen. „Ich musste meinen Personalausweis abgeben, Formulare unterschreiben, bevor ich die riesigen Schilder mitnehmen durfte“, erzählt sie amüsiert. „Das Fenster wurde dann von der Münchner Polizei abgenommen, die sicher gehen wollte, dass ich keinen Unfug mit den Schildern treibe. Ich hätte es ja eigentlich ganz gern, wenn die Polizei immer meine Schaufenster abnimmt.“

Für Regina Moths ist der Zauber des Lesens nach all den Jahren immer noch da.© Claudia von Boch

Für Regina Moths ist der Zauber des Lesens nach all den Jahren immer noch da.© Claudia von Boch

Die Zusammenstellung von Farben, Materialen und Formen hat sie stets interessiert. Als Studentin entwarf sie Kleider und arbeitete als Filmausstatterin; sie richtete Wohnungen ein, nachdem amerikanische Bekannte begeistert waren von ihrem Zuhause, das überwiegend mit Dingen vom Sperrmüll bestückt war. Ihre Gestaltungsgabe zeigt sich auch in ihrer Nymphenburger Wohnung: ein lichtdurchflutetes loftiges Zuhause. In der Privatbibliothek, streng nach Alphabet sortiert, ändert sich die Zusammensetzung über die Jahre kaum. Dafür wachsen und schrumpfen Bücherstapel auf Tischen, Regalen und Stühlen überall sonst in der Wohnung. „Mein Zuhause ist auch Durchlauferhitzer für all die Bücher, die ich lesen muss und will. Ich nehme viel aus dem Laden mit und bringe es dann wieder zurück. Ich schalte leider viel zu selten aus dem Analyse- Lesen-Modus um zum Vergnügungslesen.“ Regina Moths schläft umgeben von Büchern, das Bett ist durch eine halbhohe Wand aus Gipskarton vom Schreibtisch und der Bibliothek getrennt. „Mein halbes Boudoir“, sagt sie dazu. Sie springt wie eine behende Katze auf die Mauer, klettert auf den Arbeitstisch dahinter, streckt sich, um an die oberste Reihe des Bücherregals zu gelangen. Sucht ein Buch und fängt auf den Tisch gehockt an zu lesen. „Das Schwierigste beim Lesen ist das Stillsitzen.“ Im stundenlangen Gespräch kommt man mit der 52-Jährigen leicht von den Memoiren des Herzogs von Croy zum Leben der New Yorker Journalistin Dorothy Parker, den Schattierungen eines 60er-Jahre-Stoff es und der mimisch eindrucksvollen Beschreibung eines Telefonats mit der Autorin Sibylle Lewitscharoff .

Waren Bücher schon als Kind so wichtig für sie? „Nein. Ich habe relativ wenige Erinnerungen, mein Vater arbeitete viel, die Mutter war mit uns vier Kindern sehr beschäftigt.“ Ihre Lesekarriere begann mit der Jim-Knopf-Reihe, mit elf Jahren kam eine heftige Karl-May-Phase. „Ich fand es empörend, dass Winnetou starb!“, schimpft sie noch heute. „Ich will doch nicht tausende Seiten bibbern als Groupie und dann werde ich im Stich gelassen. Dramaturgischer Fehler!“ Ernsthaft mit dem Lesen fing sie erst an, als sie mit 17 Jahren von Zuhause auszog. Sie entdeckte die zeitgenössische deutsche Literatur, Marcel Proust, Marguerite Yourcenar, Virginia Woolf. „Wichtiger als Literatur war in meiner Jugend, dass wir Kinder nahezu alle Kirchen und Museen kannten und mit 13 im Traum die Treppe des Loire-Schlosses in Chenonceau beschreiben konnten. Ich bewundere meine Eltern heute dafür, dass sie ohne Zögern ein Haus im Bauhausstil mitten in ein traditionelles schwäbisches Neubaugebiet setzten – und sich alles nach ihren Vorstellungen anfertigen ließen. Wir Kinder saßen auf einem alten Sofa im Wohnzimmer, weil die Eltern erst wieder sparen mussten, bis sie sich das Stilechte leisten konnten.“ Nach dem Abitur in Calw machte sie eine Buchhändlerinnenlehre, studierte in Frankfurt Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften. „Danach habe ich in München den Laden der Büchergilde Gutenberg auf Vordermann gebracht. Diese Bewegung von Druckern und Künstlern aus den 1920er Jahren, die schöne Bücher für eine breite Bevölkerung verkaufen wollten, macht bis heute handwerklich gut gemachte Ausgaben mit feiner Typografie und mutiger Grafik.“

Die E-Book- und iPad-Entwicklung sieht sie gelassen. „Meine Kunden werden sich sicher alle irgendwann ein iPad anschaffen und deswegen nicht weniger Bücher bei mir kaufen. Lesen ist eine Art sich etwas zu eigen zu machen. Der Gebrauch schreibt sich in Bücher ein. Ich erinnere mich bei jedem Buch anders: in diesen Roman habe ich Johannisbeergelee reingekleckert, in diesem Gedichtband war ich am Meer, bei diesem Comic war Herbst.“ So ist es auch in ihrem Fotoband von Gisèle Freund: Darin bleibt ein fast unsichtbarer roter Fleck.

Wie_Boch_Büchern-Menschen
Vom Glück mit Büchern zu leben 
Von Stefanie von Wietersheim und Claudia von Boch
Callwey Verlag € 29,95 
http://vom-glueck-mitbuechern-zu-leben.de 
Literatur Moths Rumfordstraße 48, 80469 München