100 Jahre Aktivismus

No. 04/2022

Extinction Rebellion, Last Generation oder Fridays for Future – in den letzten Jahren ist die Anzahl von Klimaaktivist*innen beinahe so rasant gestiegen wie die bereits sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels. Das Phänomen eines inflationär betriebenen Aktivismus lässt sich aber nicht nur im Rahmen des Umweltaktivismus beobachten, sondern in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen, wie der Politologe und Soziologe Knut Cordsen feststellt. In seinem Buch Die Weltverbesserer wirft der Journalist ein Schlaglicht auf die grundlegende Frage, wie viel Aktivismus unsere Gesellschaft braucht und verträgt.

Dabei beleuchtet Cordsen ein ganzes Jahrhundert voller Aktivismus. Angefangen beim ersten gesamtdeutschen Aktivistenkongress, welcher lediglich von 150 Personen besucht wurde, bis hin zu den digitalen Debatten von tausenden Menschen auf Plattformen wie Twitter und Co. War auf der nur spärlich besuchten Zusammenkunft von Aktivist*innen 1919 noch eine ganze Woche für Diskussionen über Frieden und die Freiheit vorgesehen, werden gegenwärtig gesellschaftlich relevante Themen wie die Debatte über das Bürgergeld an einem einzelnen Nachmittag unter einer digitalen Lawine von zahllosen Meinungen mit Wahrheitsanspruch begraben.

Durch Cordsens Einordnung wird deutlich, wie sich der gegenwärtige Aktivismus zunehmend selbst sabotiert: Anstatt die Gesellschaft von seinem Standpunkt überzeugen zu können, verliert sich der moderne Aktivismus in verschiedensten Verästelungen seines Anliegens und büßt so massiv an Glaubwürdigkeit gegenüber der Gesellschaft ein. Damit folgt die ernüchternde Erkenntnis, dass mehr Aktivist*innen nicht automatisch mehr Tatkraft und Erfolg versprechen, ganz im Gegenteil: Weniger ist hier mehr. fz

Die Weltverbesserer
Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft?
Von Knut Cordsen
Gebunden, 144 Seiten
Aufbau Verlag € 20,–