Wolfgang Laib

Meditation über Zeit und Raum

No. 04/2021

Es waren Orte hoch reflektierter Geistigkeit, die der Konzeptkünstler Wolfgang Laib im Herbst 2019 für kurze Zeit einem überraschten Publikum präsentierte: Niemand hätte bei einem Florenz-­Besuch in geheiligten Räumen der Frührenaissance die Konfrontation mit minimalistischen Installationen erwartet, gleich gar solchen, die auch das Verständnis für die jahrhundertealte Malerei und Architektur beflügelten. Wer sich auf die karge Gegenständlichkeit der zeitgenössischen Hinzufügungen einließ, dem erschlossen die Installationen – konkret und spirituell – eine Zeitbrücke aus der Vergangenheit in die Zukunft, ein „Erleben“ im wahrsten Sinn des Wortes, das nun in einem vom Künstler mitgestalteten Buch gedanklich vertieft wird.

Wolfgang Laib, There is No Beginning and No End, 1999, Zikkurat, Cappella Pazzi, Santa Croce, Florenz, © Wolfgang Laib, Foto: Leonardo Morfini

Wolfgang Laib ist Arzt, kennt sich aus mit Vitalität und Vergänglichkeit und arbeitet mit Blütenstaub, der nicht nur die Bauformen der Natur aus Äonen in die Gegenwart transportiert, sondern auch als Speicher von Leben das Potenzial alles Künftigen in sich trägt. Und so hat Laib vor einem Fresko Fra Angelicos in einer der Mönchszellen des San Marco-Klosters ein gelbes Pollenfeld ausgelegt, das den im Bild dargestellten Garten und die Noli me tangere-Szene zwischen Magdalena und Christus ins Kreatürliche übersetzt: Der religiösen Vorstellung vom ewigen Leben im Paradies antwortet die wundergleiche Tatsache der sich immer und immer selbsterneuernden Natur.

Aus Bienenwachs, einem Material, das von Tausenden Individuen zusammengetragen wird, hatte Laib in Brunelleschis rationalistische Gliederungsarchitektur der Pazzi-Kapelle einen scheibenförmigen Treppengiebel gestellt. In dem klar strukturierten Raum fanden einst die Mönche von Santa Croce zur Gemeinschaft zusammen. Das von Laib darin platzierte Monument aber gemahnte an eine Zikkurat, eine mesopotamische Himmelstreppe aus dem 4. Jahrtausend vor Christus. So verbindet Laib in einer archaisch einfachen, großen Figur die Sehnsucht nach der Erreichbarkeit des Himmels mit den Gottsuchern eines christlichen Konvents zu einer Konstante des Menschseins über Jahrtausende.

Auch die anderen florentinischen Installationen Wolfgang Laibs realisierten gedankliche Dimensionen, wie sie einer minimalistisch operierenden Kunst im vordergründigen Begegnen nicht zugetraut werden. Die Dokumentation setzt nun dem temporären Erleben dieser Werke ein intensives Ausloten der Intentionen des Künstlers und des Bedeutungsspektrums seiner zu essenziellen Inhalten drängenden Kunst entgegen. mk

Cover für Wolfgang Laib in FlorenceWolfang Laib in Florence
Hrsg. Serbio Risalti, Corinna Thierolf, Gerhard Wolf
160 Seiten, 79 Abbildungen in Farbe
Text: Englisch und Italienisch (getrennte Ausgaben)
Premiumausgabe:
Schutzumschlag
Hirmer Verlag € 39,90