Toulouse – Lautrec
Schnappschüsse aus der Halbwelt
No. 03/2015
Paris, Ende 19. Jahrhundert: Mit dem Eiffelturm ist gerade ein neues Wahrzeichen geschaffen worden, die Metro wird eröffnet und prägt mit ihren markanten Jugendstil-Eingängen das Stadtbild ebenso wie die jüngsten Weltausstellungsbauten von Petit und Grand Palais, während das Vergnügungsviertel Montmartre zahlreiche Künstler in seinen Bann zieht. In das Pariser Fin de Siècle fallen sowohl die Schaffenszeit des Malers Henri de Toulouse-Lautrec als auch Aufkommen und Verbreitung der Fotografie.
Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Bern führt erstmals den Einfluss der Fotografie auf das Œuvre des Malers vor Augen, der selbst nie fotografierte, jedoch sich und seine Modelle immer wieder vor der Kamera inszenieren ließ. In seinen Bildern nimmt Toulouse-Lautrec die Perspektive eines Voyeurs, eines Paparazzo oder die Rolle eines frivolen Fauns ein, der den tiefen Ausschnitt einer sich verbeugenden Sängerin oder die langen Beine einer Cancan-Tänzerin im Moulin Rouge festhält. Dabei wirken seine Bilder von den Halbwelt-Damen umso ungeschönter und lebensechter, da er aus dem Blickwinkel eines Außenseiters – er selbst war zwergwüchsig – seinen Modellen am Rande der Gesellschaft begegnen konnte.
Der Pinsel als Auslöser
Als Vorlagen für seine Kompositionen verwendete er großenteils Schnappschüsse von rasanten Bewegungsabläufen. Die Verzerrungen und die Pinselschwünge, kühnen Steilperspektiven und drastischen Bildausschnitte, mit denen er die freizügige Tänzerin, das auf den Betrachter zufahrende Auto oder den über Hindernisse sprengenden Jockey gemalt hat, erinnern unwillkürlich an Fotoaufnahmen mit minimaler Verschlusszeit. vo
Toulouse-Lautrec Und die Photographie Bis 13. Dezember 2015 Kunstmuseum Bern Deutsch/ Französisch Katalog zur Ausstellung Hirmer Verlag € 49,90