Thomas Kohl & Tilman Spengler

"...immer zugleich Zuschauer, Erfinder und Deuter"

No. 01/2019

Wem könnte es besser gelingen, den Zauber der Landschaftsbilder des Düsseldorfer Malers Thomas Kohl einzufangen, als einem Literaten wie Tilman Spengler? Seine Texte, klug, humorvoll und leichtfedrig geschrieben, vereinen sich mit Thomas Kohls assoziativen Gemälden zu einer Art Tanz, der dem Leser und Betrachter das beglückende Erstaunen über Kunst schenkt. Aus dem jüngst erschienenen Band ist der Text „Landschaft“ entnommen:

Thomas Kohl, Detail aus: Der Alpenkamm (zweiteilig), 2008, © VG Bild-Kunst Bonn, 2019; Foto: Friedrich Rosenstiel, Köln

Das deutsche Wort „Landschaft“ ist übrigens an Biederkeit kaum zu überbieten. Es liegt damit auf flacher Augenhöhe mit dem englischen „landscape“, dem französischen „paysage“, dem spanischen „paisaje“, dem italienischen „paesaggio“ und anderen europäischen Trostlosigkeiten des sprachlichen Ausdrucks. Thomas Kohl hat daher einmal angeregt, dem Begriff aufgrund seiner Dürftigkeit die semantische Existenzgrundlage zu entziehen.

In weiter entfernten Kulturen sind da die Sprachspeicher reicher gefüllt: Nehmen wir China. Dort wird derselbe Begriff mit vielen sinnlichen Bildern aufgefüllt, mit Bergen und Wasser, mit dem Erkennen von Farben, mit Szenen, die der Wind geschaffen hat. Und wenn es ganz bescheiden zugeht, kommen Felder vor, auch Bauern und das hinlänglich bekannte Schwein unter dem Dach. Vom sprachlichen Gehalt her feiert das Bildhafte in China hier einen eindeutigen Sieg über das westlich Sprachfaule. Im Deutschen hakt sich zudem das Wort „Landschaft“ unter bei so spröden Kollegen wie etwa der „Kundschaft“, der „Mannschaft“ oder auch der „Anwartschaft“. Das ist gewiss keine Wörterkette, in der das einzelne Glied eine besondere Leuchtkraft erlangen kann. Von „Schwangerschaft“ statt „gesegnetem Leib“ oder „Burschenschaft“ statt „Dumpfbacken“ wollen wir erst gar nicht reden.

Gut möglich, dass es aber gerade diese Kargheit des Ausdrucks „Landschaft“ war, die unsere Künstler vor die Herausforderung stellte, auf die Dürre der Sprache mit einem Universum von Bildern zu antworten. Hier erfüllen Bilder, was Worte meist nur andeuten, allzu häufig aber nur behaupten. Naturlyriker mögen mir hier verzeihen, doch das auf Papier beschriebene Feuer des Ahornblatts verblasst, ja, verglimmt oft schneller als die Tinte seiner Niederschrift.

Wenn es sich denn um Sehen und nicht um den bräsigen Vollzug einer visuellen Selbstversicherung handelt. Dazu sei an dieser Stelle eine warnende Anekdote eingeschoben: Ein nicht sehr weit von mir entfernter Onkel zählte zu dem Kreis Berchtesgadener Künstler, denen die „Ehre“ und das materielle Glück zufiel, des „Führers“ Liegenschaften am Obersalzberg mit Gemälden des Untersbergs, des, versteht sich, schneebedeckten Gipfel des Watzmanns, des Königssees und damit zwangsläufig auch des frommen Ortes Sankt Bartholomä mit seinem schmucken Kirchlein herauszuputzen. „Der Führer“, so erzählte mein Onkel, „war überaus geschmeichelt“, wenn seine Gäste, seien sie aus Berlin, seien sie aus dem Ausland, in den Gemälden wiedererkannten, was sie Tage, vielleicht sogar Stunden zuvor mit den „eigenen Augen“ wahrgenommen hatten. „Fabelhafte Landschaften“, hätten ihm, also dem Führer, seine Besucher versichert. Und zwar wiederholt sowie mit Bitte um die Adresse der Künstler. Wir überführen die Anekdote in ein kleines Kapitel der historischen Begebnisse aus dem Mai 1945 und berichten weiter in den Worten meines Onkels: „Als das da oben auf dem Obersalzberg dann alles in Flammen stand, nach der Bombardierung, sind wir sofort raufgestiegen, um sicherzugehen, dass wir, also unsere Bilder, da keine Spuren hinterlassen haben. Man weiß ja nie, was so etwas an Schrecklichem anrichten kann.“ War das eine historische Zäsur? „Nein“, sagt der Onkel, „Gottseidank nicht! Drei Wochen später kamen da zwei Jeeps der Amerikaner vorgefahren, lauter Offiziere, mir schlotterte die Hose. Doch alles, was sie von mir verlangten, war, dass ich die Landschaften von Watzmann, Untersberg und Sankt Bartholomä noch einmal male. Die kannten sie wohl aus Aufnahmen von ihrem Geheimdienst, und die waren in ihren Kreisen sehr beliebt. Wirtschaftlich hat mir das sehr geholfen, in dieser schweren Zeit“.

Landschaft, das versuche ich mit dieser randständigen Anekdote in die Vorstellung der Betrachter zu rücken, ist der Eigenwille des Künstlers, der sie erneut findet und uns an seiner Neugier teilhaben lässt. Die ihr zugehörige Geschichte verträgt mehr als nur ein Stirnrunzeln. Und um hier mit Fontane endlich auch einen der nüchternsten literarischen Würdiger von Landschaften zu Wort kommen zu lassen: „Sie ist ein weites Feld.“ Dankbar ist der Kunstfreund für überraschende Nahaufnahmen und verwirrende Auflösungen. Beglückt ist er, wenn des Künstlers Strich nicht „Sehgewohnheiten verunsichert“, wie der Jargon des Geschäftes es so lautstark fordert, sondern wenn ein neuer Blick uns endlich wieder mehr erzählt als in jene „Kaskade von Worten“. Man kann, man sollte in diesem Gedankenspiel auch und besonders an Thomas Kohl denken. Aber der hat dazu seine eigenen Vorstellungen. Im Aquarell und auf der Leinwand. Eben.

Cover für Thomas KohlThomas Kohl.Verflüchtigung der Ebene
mit Texten von Tilman Spengler
144 Seiten, 80 Farbabbildungen

Klinkhardt & Biermann € 25,–