The Botticelli

Venus und ihre Entourage

No. 03/2015

Berlin hat seit der letzten Woche einen neuen Ausstellungs-Blockbuster: The Botticelli Renaissance 2015–1445 in der Gemäldegalerie im Kulturforum. Die Ausstellung zeigt Sandro Botticellis Einfluss auf Mode, Kunst und Werbung und hinterfragt ihn im kunsthistorischen Rückwärtsgang als Design-Phänomen der Gegenwart.

Antonio Donghi, Donna al caffé (Frau im Café), 1931

Antonio Donghi, Donna al caffé (Frau im Café), 1931 © 2015 Archivio Fotografico – Fondazione Musei Civici di Venezia

Der Altmeister als etablierte Marke. Kaum ein Gemälde auf der Welt wird so vereinnahmt wie die Geburt der Venus. Die schaumgeborene Liebesgöttin steht bis heute als Metapher für ewige Jugend, zeitlose Schönheit, Eleganz und Exklusivität. Ihr Antlitz ziert Mousepads, Trinkbecher und die Werbekampagnen von Luxuslabels. In der Berliner Ausstellung wird sie nun als Kultfigur und Pop-Ikone gefeiert, umgeben von Paraphrasen der Präraffaeliten, des Impressionismus, des Surrealismus, der Pop-Art bis hin zur zeitgenössischen Fotografie und japanischen Manga-Kunst. In Kooperation mit dem Victoria and Albert Museum in London und Leihgaben aus aller Welt ist es gelungen, in Berlin mehr als 50 Originale oder zugeschriebene Werke Botticellis zu vereinen.

Tomoko Nagao, Botticelli - The Birth of Venus with Baci, Esselunga, Barilla, PSP and EasyJet, 2012

Tomoko Nagao, Botticelli – The Birth of Venus with Baci, Esselunga, Barilla, PSP and EasyJet, 2012

Nur die Geburt der Venus und Primavera, die in Florenz täglich die Touristenströme anziehen, haben ihren angestammten Platz in den Uffizien nicht verlassen. Dafür kann die Gemäldegalerie auf einen eigenen reichen Fundus zurückgreifen: In der 1830 eröffneten Sammlung der einst königlichen, heute staatlichen Museen zu Berlin befand sich – abgesehen von der ehemaligen Wirkungsstätte des Meisters in Florenz – bereits damals der größte Bestand an Botticelli-Gemälden.

Bruch mit den Sehgewohnheiten

Unter ihnen die betörende Venus von 1490, eine von mehreren Verselbstständigungen der mythischen Geburt der Venus, die in der Villa Medici in Castello hing und der Öffentlichkeit selbstverständlich nicht zugänglich war. Deren Schönheit war in ihrer anmutigen, von Goldhaar umspielten keuschen Pose bereits zu Lebzeiten des Künstlers legendär.

In der Ausstellung ist sie von zwei großformatigen Beach Portraits von Rineke Dijkstra aus dem Jahr 1992 umrahmt – zwei Teenagern im Badeanzug, die in leicht ungelenker Pose vor dem Meer stehen. Gewagt und doch beglückend sind solche Brüche mit den Sehgewohnheiten. Der US-Fotograf David LaChapelle führt in Rebirth of Venus jede Form von Anmut ad absurdum. Er interpretiert die Schaumgeborene überladen zuckrig als artifizielle Hochglanz-Schönheit. Den tradierten Schönheitsbegriff , der sich in Form der „Venus“ in das universale Bildgedächtniseingeprägt hat, hinterfragt auch die Künstlerin Orlan. Sie hat sich zwischen 1990 und 1993 in insgesamt neun Performances schönheitschirurgischen Eingriff en unterzogen, um ihr eigenes Äußeres dem Idealbild der „Venus“ anzugleichen. Cindy Shermans Selbstbildnis eignet sich mit entblößter Kunstbrust und Milchstrahl hingegen La bella Simonetta, Botticellis allegorisches Bildnis der Simonetta Vespucci aus dem Jahr 1475, an.

Ein weiteres besonderes Highlight ist das Porträt einer Dame (Smeralda Bandinelli), das vom Victoria and Albert Museum beigesteuert wurde. Überraschend und damals absolut kühn war der unverblümte Blick der Porträtierten auf den Betrachter. Die Smeralda zeugt außerdem davon, dass Botticelli nach seinem Tod im Jahr 1510 zunächst einmal völlig in Vergessenheit geraten war. Erst im 19. Jahrhundert wurde er von den Präraffaeliten wiederentdeckt, die in ihren Frauenporträts dem Ideal der zeitlos entrückten Schönheit nach eiferten. Dante Gabriel Rossetti, einer der Protagonisten der englischen Künstlervereinigung, konnte das Porträt der Smeralda im Jahr 1867 für lächerliche 20 Pfund kaufen.

Präsentiert werden alle Werke des Renaissance-Malers bzw. seiner Werkstatt auf dunklen Schieferwänden, was einerseits die Ausstellung gliedert und andererseits eine nahezu sakrale Stimmung erzeugt. Die Zuschreibung sämtlicher Werke ist im Falle Botticellis fragwürdig, weshalb in dem hervorragend gegliederten, aufwändigen Ausstellungskatalog des Hirmer Verlags alle Gemälde zusammengefasst sind, die von der Hand des Meisters bzw. aus seinem unmittelbaren Umfeld stammen. Signiert hat Sandro Botticelli, der mit bürgerlichem Namen Alessandro di Mariano Filipepi hieß, in den wenigsten Fällen – selbst die Geburt der Venus und Der Frühling sind anonym. The Botticelli Renaissance ist bis zum 24. Januar 2016 in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin zu sehen und reist im Anschluss ins Victoria and Albert Museum nach London. ck

The Botticelli Renaissance 2015–1445Botticelli 2015-1445
Bis 24. Januar 2016
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
5. März bis 3. Juli 2016
Victoria and Albert Museum, London
Katalog zur Ausstellung
Hrsg. von Stefan Weppelmann, Mark Evans
Hirmer Verlag € 45,–

image sources

  • Tomoko_Nagao_Boticelli_The_Birth_of_Venus_with_Baci: Tomoko