Romantik in Russland und Deutschland
Der Auftakt der Moderne von Caspar David Friedrich bis Alexander Andrejewitsch Iwanow
No. 04/2021
Um die deutsch-russischen politischen Beziehungen steht es nicht zum Besten. Deswegen sind gemeinsame Kulturprojekte besonders zu begrüßen. Sie können ein besseres Verständnis füreinander fördern und der Entfremdung voneinander entgegenwirken.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Tretjakow-Galerie in Moskau widmen sich in einer umfassenden Ausstellung der Epoche der Romantik in beiden Ländern und besonders dem Ringen um individuelle und politische Freiheit. Künstlerisch war die Epoche um 1800 ein Goldenes Zeitalter, eine Ära, in der sich auf beiden Seiten etwas herausbildete, das man als nationale Schule bezeichnen mag. Auch war es eine Zeit außergewöhnlicher produktiver Beziehungen zwischen Künstlern, Schriftstellern und Musikern beider Länder. Dresden war für viele russische Künstler die erste Station auf dem Weg nach Italien. Ein Besuch der Gemäldegalerie und häufig eine eigenhändig ausgeführte Kopie von Raffaels Sixtinischer Madonna waren obligatorisch.
Der bedeutendste deutsche Romantiker, Caspar David Friedrich (1774–1840), ist gebildeten Russen durchaus ein Begriff. Nächst Deutschland ist Russland das Land, in dem sich die meisten seiner Gemälde befinden. Friedrich wurde in Russland früh entdeckt. So besuchten Großfürst Nikolai Pawlowitsch, der spätere Zar Nikolaus I., und seine Gemahlin auf ihrer Deutschlandreise das Dresdner Atelier des Künstlers und kauften zwei Gemälde, Auf dem Segler und Nächtlicher Hafen, die heute in der Petersburger Eremitage hängen.
Umgekehrt sind die großartigen russischen Romantiker Alexander Iwanow (1806–1858), Alexei Wenezianow (1780–1847) und Orest Kiprenski (1782–1836) hierzulande kaum bekannt. Iwanow zählt zu den russischen Entdeckern der Natur und Vorläufern der Pleinairmalerei. In Rom mit den deutschen Nazarenern befreundet, teilte er deren Hoffnung, durch moralische Läuterung der Menschen zu einer Verbesserung der Welt beizutragen.
Alexei Wenezianow widmete sich als erster russischer Maler der Darstellung der Bauern und ihrer Arbeit, die zuvor in der russischen Kunst nicht existierten. Die sorgfältige Gestaltung ihrer Kleidung und Werkzeuge sowie die Lichtführung und konsequente Naturtreue der Landschaften zeichnen ein positives Bild der russischen Bauern, erfüllt mit Schönheit, Selbstbewusstsein und Würde der Abgebildeten. Auf seinem Landgut Safonkowo richtete er eine Zeichen- und Malschule ein, deren talentierte Schüler von dem Künstler oft erst aus der Leibeigenschaft losgekauft werden mussten. Orest Kiprenski wiederum führte die russische Porträtmalerei zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu ihrem Höhepunkt. Seine Kunst spiegelt das romantische Interesse am menschlichen Charakter wider.
Die Romantik gilt vielen als Beginn der Moderne. Auch heute stellen wir uns Fragen nach einem selbstbestimmten, freiheitlichen Leben und nach Geborgenheit in einer selbstgewählten Heimat. 15 ausgewählte internationale Künstler der Gegenwart wie Marlene Dumas, Mathilde ter Heijne, Susan Philipsz, Arnulf Rainer, Thomas Ruff, Hiroshi Sugimoto und Bill Viola beziehen in der Ausstellung Position zum Traum von Freiheit und zu Emanzipationsbestrebungen. Die kongeniale Ausstellungsarchitektur schuf der US-amerikanische Stararchitekt Daniel Libeskind. wr
Träume von Freiheit Romantik in Russland und Deutschland Bis 6. Februar 2022 Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Katalog zur Ausstellung Text: Deutsch u. Englisch (getrennte Ausgaben) Hirmer Verlag € 49,90