Paulo Nazareth

Identitäten zwischen Feuerland und Alaska

No. 01/2021

„Es ist, als wäre ich ein ewiger Zuwanderer – ein Migrant, der niemals ankommt. So wie jene, die aus ihren Heimatländern entführt und in eine Neue Welt gebracht wurden“, sagt der 1977 im brasilianischen Governador Valadares geborene Künstler indigener und afrikanischer Abstammung, Paulo Nazareth.

Paulo Nazareth, Macunaíma – Índio Rei, 2019 © Paulo Nazareth, Foto: Silvia Ros

Dieses Selbstbild reflektiert in gewisser Weise auch schon Nazareths Kunstkonzept – es ist nicht festgelegt und setzt sich zusammen aus dem breiten Spektrum von Medien, die die zeitgenössische Kunst bereithält: von Malerei und Zeichnungen über Objekte und (Video-)Installationen bis hin zu Fotografien, Notizbüchern und Blogs. Melee, so heißt der Band mit Werken von Paulo Nazareth, die das Institute of Contemporary Art in Miami 2019 ausgestellt hat. „Melee“ bedeutet soviel wie Auflösung einer klaren Gefechtsordnung hin zu Nahkampf und direktem Kampfgetümmel. Es handelt sich um einen Aufruf zur Auseinandersetzung, aber auch um ein Kunstverständnis, das dem Mantra der Avantgarde folgt, wonach es keinen Unterschied zwischen Kunst und Leben gibt. Alles ist miteinander verwoben, aber es ist ein Gemenge von disparaten und widersprüchlichen Dingen.

Wie es in einem der anschaulichen Texte des Bandes heißt, fordert Paulo Nazareth auf diese Weise „die soziale Syntax der weißen Überlegenheit“ heraus. So hat er etwa eine Serie von 49 Gedenkmünzen geschaffen, geprägt mit Porträts von indigenen Führern des amerikanischen Kontinents, der „Americas“. Vorgestellt werden furchtlose und gefürchtete Außenseiter, Transgender-Revolutionäre und politische Aktivisten, die sich dem Kolonialismus widersetzt haben. Eine ähnliche Stoßrichtung haben andere Serien, wie die in Kunstharz gegossenen kommerziellen Alltagsartikel, die nur allzu oft offen diskriminierend sind, wie etwa die Aymoré-Kekse, benannt nach dem ausgerotteten Stamm seiner Vorfahren, oder die Açaí-Beeren, die von einer verführerischen Indigenen unter dem Namen eines Ureinwohners angepriesen werden. In diesen „Produkten des Genozids“ formuliert sich eine Anklage an den von Feuerland bis Alaska immer noch vorherrschenden, täglichen Rassismus.

Eines der Fotos des Bandes zeigt den Künstler mit den Knochen eines riesigen Tiergebisses, die er in seine Afrofrisur eingeflochten hat – ein größerer Gegensatz zur ultrarechten, westlich-religiös geprägten Kunstauffassung des aktuellen brasilianischen Präsidenten ist kaum denkbar. mir

Cover für Paulo NazarethPaulo Nazareth. Melee
Hg. Alex Gartenfeld, Gean Moreno
Text: Englisch
248 Seiten, 103 Farbabbildungen
Hirmer Verlag € 39,90