Outsider & Vernacular Art

Bildwelten jenseits der Vorstellung

No. 04/2019

Von Caroline Klapp

Der Kunst von Außenseitern sowie nicht-traditioneller Volkskunst widmet sich der umfangreiche Katalog Outsider & Vernacular Art, der in diesem Herbst im Hirmer Verlag auf Englisch erschienen ist. Anhand einer Auswahl von über 200 Werken aus der Victor F. Keen Collection, der größten Sammlung ihrer Art in den USA, wird eine Kunstrichtung beleuchtet, die abseits des Mainstreams existiert und in Europa ihre Entsprechung vielleicht am ehesten in der Art Brut sowie der Kunst der Gugginger Gruppe aus Österreich hat.

Howard Finster, Visionary Landscape #4494, 1985

In Amerika kümmern sich vor allem die Bethany Mission Gallery in Philadelphia sowie das Center for Intuitive and Outsider Art in Chicago um die öffentliche Wertschätzung einer Kunst, die stark auf Intuition basiert und von Künstlern stammt, die am Rand der Gesellschaft stehen. Beide Institutionen sind an der Veröffentlichung des Bildbandes beteiligt und werden in diesem oder nächstem Jahr Werke aus der bedeutenden Keen Collection ausstellen. Arbeiten von James Castle, Sam Doyle, Howard Finster, George Widener u. a. – Künstler mit teils tragischen Lebensgeschichten – geben Einblick in rätselhafte Bildwelten, die weitgehend abseits einer Einflussnahme durch die Außen- beziehungsweise Kunstwelt entstanden sind. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Künstlern um Autodidakten, die aus diagnostischen Gründen in der Psychiatrie mit dem Zeichnen begannen und darüber eine künstlerische Begabung und Leidenschaft entdeckten, die sie ihr restliches Leben lang nicht mehr loslassen sollte. Die „Outsider Art“ birgt ein großes Faszinosum: Sie lässt uns staunen, eine Begegnung mit ihr weckt in uns aber auch Hilf‌losigkeit. Denn jede Form von Bildanalyse, die auf herkömmlichen Seherfahrungen und erlerntem Wissen basiert, kann hier nur scheitern. Die Vernunft wird außer Kraft gesetzt, was oft einer Provokation gleichkommt: Sexualität, Liebe, Gewalt und Krieg – große T‌hemen werden hier mit einer Offenheit und scheinbar kindlichen Unbeschwertheit verhandelt, die irritiert. Diese Irritation, aber auch der Reiz der unmittelbaren, komplett antiakademischen Ausdrucksform überzeugte Künstler wie Jean Dubuffet bereits Mitte der 1940er Jahre und führte dazu, dass die herausragende Bedeutung der Art Brut für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts heute unumstritten ist.

Cover für Outsider & Vernacular ArtOutsider & Venacular Art
The Victor F. Keen Collection
Bis 12. Januar
Sangre de Cristo Arts Center, Pueblo
6. Februar bis 3. Mai 2020
Intuit: The Center for Intuitive and Outsider Art Chicago 
Katalog zur Ausstellung
Text: EnglischHirmer Verlag 45,-