Jan Wagner – auf inchkeith zu

No. 03/2020

Von Jan Wagner

auf inchkeith zu

„… and provided them with everything
they would need for their nourishment,
food, drink, fire and candle, clothes,
and all other kinds of necessities needed
by man or woman. He was desirous to
discover what language the children would
speak when they came of proper age.“

(Robert Lindsay of Pitscottie,
The Historie and Chronicles of Scotland)

zwei ohne jede schuld und eine magd,
die von geburt an stumm ist – andernorts
der erste satz von kneipenanekdoten
oder von heiligenlegenden. backbord
das gischtgebrüll, voraus die sturmbenagten
klippen und die magd, der, wenn sie etwas sagt

oder zu sagen scheint, der gaumenstummel
im mund springt wie ein hering auf der mole.
„waldige insel“ – eher der letzte brocken,
den gott gelangweilt fortwarf, eine meile
von einsamkeit und nebel, ungeborgen
wie wracks am grund. und dieser schieferhimmel.

sprache ist, wenn ich danach mein fährgeld
in händen halte, wenn mir eine faust
den seemannsknoten knüpft. wie etwas heißt,
entspricht ihm, denke ich, derweil ein west-
wind weitere zerfetzte möwen hisst
auf diesem tiefen reich aus salz und kälte.

wie werden sie sich äußern, vor der magd,
dann aller welt? mit engelszungen, brandungsrauschen?
knacken von glut, gewitter, dem geläute
weit weg bei gutem wind? wird einer knirschen
wie strandkies unterm fuß, während der zweite
wie diese abgezehrte ziege meckert?

Ein Gedicht im Fresko Kultur- und Kunstmagazin ist eher die Ausnahme, noch dazu ein Premieren-Werk, das mit dieser Ausgabe das Licht der Welt erblickt. Gewidmet ist diese Besonderheit, verfasst von dem Dichter Jan Wagner, unserem Verleger und Fürsprecher Dirk ­Ippen, der in wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag feiern wird.

Auf seinen immer so wunderbar formulierten Einladungen wird gerne vermerkt: „Bitte keine Geschenke.“ Aber einem Freund und Verehrer von Goethe, Schiller und Shakespeare, einem Bewunderer der lateinischen und griechischen Sprache wollen wir mit diesen Zeilen Freude bereiten und vor ihm als einem Humanisten par excellence den Hut ziehen. Das ganze Fresko-Team sowie die Kolleginnen und Kollegen im Hirmer Verlag gratulieren von Herzen!

Unser besonderer Dank für diesen literarischen Blumenstrauß gilt selbstverständlich Jan Wagner in Berlin, der uns dieses Gedicht freundlicherweise exklusiv überlassen hat. zh