„Ich pfeife den Disteln ein Tulpenlied vor“

No. 02/2017

Sie besuchte kaum eine Schule, bestritt jahrzehntelang ihren Lebensunterhalt mit Stricken und schrieb in einem Gedicht über sich selbst: „Ich bin ein einfaches und durchtriebenes Geschöpf.“ Christine Lavant hielt Thomas Bernhard für eine der wichtigsten Lyrikerinnen, die es „verdient, in der ganzen Welt bekannt gemacht zu werden.“

Christine Thonhauser (1915–1973), als neuntes Kind eines Kärntner Bergarbeiters und einer Flickschneiderin geboren, bekam eines Tages einen Gedichtband von Rainer Maria Rilke geschenkt. Damit sei, so erzählte sie später, die Inspiration wie ein „Wolkenbruch“ über sie gekommen, tagelang habe sie fast ausschließlich Gedichte geschrieben. In bildgewaltigen Versen spricht Christine Lavant, wie sie sich inzwischen nach ihrem Heimattal nannte, von alltäglichen Erfahrungen, von Liebe, Natur, Armut, Elend und Gotteszweifel, mit den Bänden Die Bettlerschale (1956), Spindel im Mond (1959) und Der Pfauenschrei (1962) wurde sie eine erfolgreiche Dichterin. Als sich Mitte der 60er Jahre ihr Gesundheitszustand verschlechterte, erklärte sie sich für ausgeschrieben und gab ihre späten radikalen „Lästergebete“ nicht mehr frei. 500 größtenteils unveröffentlichte Gedichte aus dem Nachlass der Lyrikerin sind nun erschienen und eine großartige Entdeckung. cs

Christine Lavant: Gedichte aus dem Nachlass 
Hrsg. von Doris Moser und Fabjan Hafner 
Wallstein Verlag € 38,80