Hin Bredendieck

Migration der Ideen

No. 02/2020

Der Produktdesigner Hin Bredendieck (1904–1995) war im Amerika der Nachkriegszeit der einflussreichste Vermittler der Bauhaus-Ideen, zu diesem Schluss kam ein Forschungsprojekt des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, das einen Teil seines Nachlasses bewahrt. Kooperationen weltweit machten es möglich, die vielen Spuren seines Lebens und Wirkens vom ostfriesischen Aurich bis nach Atlanta nachzuvollziehen und in einer Monografie zu veröffentlichen, die gleichsam einen wichtigen Beitrag zum Verständnis deutsch-amerikanischer Designgeschichte liefert.

Marianne Brandt und Hin Bredendieck, Kandem-Nachttischleuchte Nr. 702, 1928/29
Foto: Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Oldenburg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2020. © Dina Zinnes, Gewn B. Fischer und Karl Bredendieck

Geboren in Aurich, entfaltet in Dessau, gearbeitet in Berlin, Zürich und Oldenburg, emigriert nach Chicago und einflussgebend in Atlanta lautet die Kurzfassung von Bredendiecks Leben. Anschaulich wird es durch eine Fülle an Dokumenten, die international ebenso verstreut sind wie Bredendieck vernetzt war. Zeugnisse seiner „former years“, wie sich das überaus prägende Studium von 1929 bis 1930 am Bauhaus Dessau nennen lässt, begleiteten ihn bei jedem Umzug und auch bei seiner Emigration nach Übersee im Jahr 1937. Dabei handelte es sich um Skizzen und Entwürfe, Fotografien und Berichte, die seinem Drang nach einer freiheitlichen Ausbildung Ausdruck geben: einer Hochschule als Experimentierfeld und ein Dialog auf Augenhöhe mit Lehrern wie Albers, Kandinsky, Klee und Moholy-Nagy, in dessen Metallwerkstatt er zu innovativen Lösungen fand und der ihn schließlich ans New Bauhaus Chicago rief. Dort vermittelte er die Bauhaus-Ideen ebenso wie später in Atlanta, wo er als Gründungsdirektor des Instituts für Industriedesign am Georgia Institute of Technology wirkte.

Sein Leitmotiv, Einrichtungsgegenstände nach den Kriterien schlicht, praktisch und preisgünstig zu gestalten, begleitete lebenslang sein Schaffen. Dazu kooperierte er mit Lehrern und Kollegen und setzte sich leidenschaftlich mit Gestaltungsaufgaben auseinander, die noch immer aktuell sind. So war für ihn etwa ein Sitzmöbel daran zu messen, „1. durch die art der arbeit 2. den grad der bequemlichkeit 3. die hygienischen anforderungen 4. wie lange ohne unterbrechung darauf zu sitzen ist. maximal 2 stunden.“ Auch eine Leuchte war bis ins Detail durchdacht, mit einer Vielzahl an Ausführungen, Lichtverteilungen, Leuchtstärken, Metall- und Farbvarianten und einfacher Montage. So scheint der Weg konsequent, dass er in den USA Do-it-yourself-Möbel entwickelte, die sich auch für beengte Wohnverhältnisse eigneten und als „Kit“ (Bausatz) von Käufern erworben und selbst aufgebaut werden konnten. Wer sich vom Popular Home Chair von ca. 1949, einem Kindertisch mitsamt Stühlen von 1952 oder einem klappbaren Wandtisch von 1950 angesprochen fühlt, findet die „Handyman Plans“ zum Selbstbau in den alten Zeitschriften Popular Home – oder in der deutsch-englischen, 280 Seiten starken Publikation Hin Bredendieck. Von Aurich nach Atlanta. af

Cover für Hin BredendieckHin Bredendieck. Von Aurich bis Atlanta
Hg. Gloria Köpnick
Text: Deutsch/Englisch
280 Seiten, 298 Abbildungen in Farbe
Hirmer Verlag 49,90