Heimrad Prem

Tagebuchnotizen 1963-1967

No. 01/2013

Sensibler Radikalist und schöpferischer Destrukteur – Heimrad Prem und die 1958 gegründete Gruppe SPUR lebten die Freiheit der Kunst in einem Deutschland, dem alles Unangepasste noch verdächtig und offenes Denken zu gefährlich war.

Am Montag, 27. Mai

ist mein Geburtstag und Ausstellungseröffnung in der Galerie van de Loo. Es waren viele Leute anwesend, aber kein einziger von den sogenannten Persönlichkeiten des öffentlichen Kunstlebens. Niemand von der Presse, kein Kunsthistoriker, keiner von den Museumsleuten, auch Herr Dr. Rötel nicht, kein Sammler außer Herrn van de Loo selbst. Es war trotzdem sehr schön, d.h. es war gerade deshalb sehr schön. Ich hatte Erfolg, denn junge Maler und Schriftsteller waren anwesend und geradezu begeistert von meinen Bildern. Nachher ging es noch in die Hanseaten Stuben. Sturm, Zimmer und Fischer mit einem Freund und seiner Frau blieben noch die ganze Nacht. Es wurde gründlich Geburtstag und Ausstellungseröffnung gefeiert. Um zwei Uhr verließen wir die Fendtstuben und gingen in die Alte Laterne. Zwischen drei Uhr dreißig und fünf Uhr wurde es schon Tag, und wir spazierten durch den Englischen Garten zum Odeonsplatz und gingen noch zum Donisl. Dienstag habe ich lange geschlafen und später wegen eines Freskos an van de Loos Haus mit ihm gesprochen.

Heimrad Prem und Blick aus dem Atelier in der Klenzestraße, Winter 1962/63 Foto: Monika Prem

Heimrad Prem und Blick aus dem Atelier in der Klenzestraße, Winter 1962/63 Foto: Monika Prem

Mittwoch, 29.05.1963

Tagsüber Reisevorbereitungen und nachts Ankunft mit Frau und drei Monate altem Markus in Fusch. Im Postgasthof, genannt Dorfwirt, übernachtet. Am Donnerstag in Fusch im eigenen, eigentlich nicht bewohnbaren Häuschen übernachtet. Am Freitag etwas aquarelliert. Ich versuchte wegen der ungleichmäßigen Art, in der das Aquarell auftrocknet, mit nur einer Farbe lasierend über die Fläche zu streichen. Die Farbe wird nie ganz gleichmäßig auftrocknen. Diese Ungleichmäßigkeit versuchte ich nicht zu verhindern, sondern ich betonte sie viel mehr, indem ich das Blatt beim Auftrocknen nicht ganz flach hinlegte. Die dabei entstandene Plastik (reliefartige Struktur) nenne ich für mich Plastik. Plastik kann ich für mich als Menschenleiber sehen oder als Hügellandschaft. Diese leichte Formung der ungleichmäßigen Farbe ist wirklich sinnlich. Es ist eben Fleisch; das Fleisch der Berge kann es sein, wenn man sagen würde, die Bäume sind die Haare der Berge und das Gestein die Knochen der Berge. Ich will kaum die Natur malen, sondern ich will sie formen. Aber ich finde, jeder Handgriff und jede Farbe ist mehr, wenn das, was auf dem Papier geschieht, naturverwandt ist. Ich möchte mir Teile erhalten, die ich bei aller Veränderlichkeit wieder erkenne. Teile, wie Fleisch, Knochen, Haare, also Weichteile (plastische Teile), grafische Teile und fl ächige Teile. Ich darf nur das Wichtigste schreiben, und es ist wahrscheinlich uninteressant, daß ich hier in Fusch quasi unter den Pantoff el geraten bin und den ganzen Tag irgendwelche Einkäufe fürs Haus machen muß und Wasser holen. „Zurück zur Natur“, heißt es. Wenn aber nicht die ganze Menschheit zur Natur mit zurückkehrt, ist man in den Tagen, wo man zur Natur mit der Familie ins unperfekte Landhaus zieht, ein Mensch, der den ganzen Tag fürs Nötigste arbeitet, eben nur für Körperliches. Aber der Körper kann frische Luft einatmen und der Körper wird gesund leben und in diesem Körper wird ein gesunder Geist entstehen. Dieser gesunde Geist wird sich aufbäumen gegen soviel Gesundheit und den Körper wieder in die Stadt führen. So wie früher zu leben heißt, den ganzen Tag arbeiten. So wie heute zu leben heißt, den ganzen Tag arbeiten, um eben modern, also zeitgemäß, zu leben. Man muß trotzdem wie heute leben, wenn man noch Zeit für die Kunst haben will. Kunst ist, die Freizeitgestaltung selbst zu erfinden. Heute ist der letzte Tag in Fusch und sonnig. Ich mache mir Gedanken über den Dachstuhl. Die Handwerker haben vielerlei Werkzeug, um damit die entgegengesetztesten Dinge konstruieren zu können. Das möchte ich auch in der Malerei probieren. Die Gegenstände werden dann von selbst aus den verschiedenen Malmaterialien und Werkzeuggattungen hervorgehen. Ich werde mit einem System vorgehen, das sehr der Collage entspricht. Nur daß ich mit den verschiedenen Stofflichkeiten der Farbe arbeite und nicht mit verschiedenen anderen Materialien, wie das bei der Collage gemacht wird. Verschiedene Stofflichkeiten der Farbe sind Lackfarben – im Gegensatz zu Temperafarben.

9783777420417_3Dn
Abdruck aus: Heimrad Prem. Tagebuchnotizen. 1963 – 1967 
Hg. Monika Prem
Hirmer Verlag € 9,90