Fresko-Kunsträtsel

No. 04/2012

WER BIN ICH?

Worüber ich mich heute noch wundere, ist, dass meine Geburtsstadt eine Sackgasse nach mir benannt hat. Keinen Höhenweg, der das Luftige meiner Werke und die Liebe zur Bergwelt widergespiegelt hätte, keinen mediterran gestalteten Platz, der meiner Affinität zur toskanischen Landschaft huldigt. Nein, eine Sackgasse zwischen mehrstöckigen Häusern, wie ich sie nie gebaut hätte, war ich ihnen wert. Aber ich will mich nicht beklagen, streiten war nie meine Sache, schon immer habe ich meine Kraft lieber zum Zeichnen verwendet. Auch damals, als sich meinetwegen die wichtigsten Zeitungen des Landes eine Medienschlacht lieferten, hielt ich mich weitestgehend aus der Diskussion heraus. Während die einen mir jegliche Kompetenz absprachen und mich am liebsten hätten einsperren lassen, attestierten die anderen denjenigen ein „Brett vorm Kopf“, die die Eleganz meiner Entwürfe nicht erkannten. Aber ich greife den Dingen vor. Auch das habe ich zu Lebzeiten schon gerne getan. Als Grundschüler übersprang ich eine Klasse, was dazu führte, dass ich auf den Sohn eines berühmten Schriftstellers und Nobelpreisträgers traf und wir uns befreundeten. Wir beiden waren so auf’s Lesen versessen, dass wir bereits auf dem Weg vom Antiquariat, aus dem wir unseren Lesestoff bezogen, die Bücher auslasen und sie an überraschte Passanten weiterverschenkten. Nach dem Abitur boten sich mir unterschiedliche Berufswege, vom Dominikanermönch mit anschließendem Mathematikstudium über die Bildhauerei bis hin zum Erfinder. Ich entschied mich für ein Architekturstudium, das ich mit nur 23 Jahren abschloss – noch im gleichen Jahr gründete ich mein erstes eigenes Büro. Mein beruflicher Elan erfuhr nach nur zwei Jahren einen Dämpfer, als ich von der Obrigkeit wegen meines zu „modernen“ Baustils verwarnt wurde. Das Vordenken, Richtungsweisen und Auslüften miefiger Gewohnheiten ließ ich mir auf Dauer aber nicht verbieten. Nachdem ich nach dem Krieg zu Fuß aus Russland zurückgekehrt war – die Donau überquerte ich schwimmend mit dem Kleiderbündel auf dem Kopf – nahm meine Karriere wieder Fahrt auf. Viele Jahre lang prägte ich mit meinen Bauten das Stadtbild Münchens und Nürnbergs, aber auch im übrigen Deutschland, in Österreich, der Schweiz, Belgien und Italien tragen Städte und Bau werke bis heute meine Handschrift. Die Liste meiner Ämter, Mitgliedschaften und Auszeichnungen ist beeindruckend lang und die Fachwelt zählt mich heute zu einer Minderheit „herausragender Architekten, von denen eine Reihe von Werken einen Ehrenplatz in der Architekturgeschichte gefunden hat“. Mein Tod kam plötzlich und mir ungelegen. Eigentlich wollte ich mit meinem Lancia in unser geliebtes Landhaus ins Chianti fahren, als sich mein Gesundheits zustand rapide verschlechterte und ich kurz darauf starb. Unter großer Anteilnahme wurde ich bei gesetzt, an der Trauerfeier nahm sogar der Ministerpräsident teil. Kurz darauf wurde mir zu Ehren im Münchner Westen ein Weg nach mir benannt – nun, wir sprachen ja schon darüber.

Wer bin ich?

– Wer bin ich? –

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Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 03/2012: Maria Uhden (1892 –1918)