Fresko-Kunsträtsel

No. 01/2024

Wer bin ich?

Mein Chef war ein Schlaufuchs. Als er vor Gericht wegen Majestätsbeleidigung für eine nicht schmeichelhafte Zeichnung angeklagt wurde, die die Gesichtszüge des Königs zu tragen schien, fertigte er noch während der Anhörung eine weitere Zeichnung an.

Sie zeigte die schrittweise Verwandlung des königlichen Kopfes in eine Birne, als Beweis dafür, dass Ähnlichkeitsargumente fragwürdig seien, denn schließlich gebe es zwischen Menschen und Sachen auch optische Parallelen. Er musste dennoch ins Gefängnis, die Birne wurde jedoch zum Bild- und Spottsymbol der Obrigkeit. Ich liebte dieses Motiv und griff es in vielen meiner Arbeiten auf. Natürlich wurde auch ich für mein Tun mit Geldstrafen belegt und ins Gefängnis geworfen. Die rund viermonatige Haftstrafe wurde allerdings dadurch erleichtert, dass der Gefängnisdirektor mit meinen Ansichten heimlich sympathisierte und es mir so behaglich wie möglich machte.

Der politische Kampf war mir sozusagen in die Wiege gelegt worden. Mein Vater, ein einfacher Handwerker, gehörte dem Stand an, der wirtschaftlich besonders zu leiden hatte, sodass ich früh für Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung sensibilisiert wurde und ein politisches Denken entwickelte. Bereits mit zwölf Jahren musste ich die Schule verlassen, um als Laufbursche bei einem Gerichtsdiener und später als Gehilfe in einer Buchhandlung die große Familie mit meinem kärglichen Einkommen zu unterstützen. Mein zeichnerisches Talent sowie das Interesse für neuartige Drucktechniken ebneten mir den Weg zu meiner späteren Tätigkeit als Zeichner und freier Künstler. Reich geworden bin ich damit nicht, meine erste Einzelausstellung fand in meinem 70. Lebensjahr statt. Organisiert von meinen Freunden in einer Pariser Galerie, wurde ich zwar von der Presse gefeiert, verkaufte aber keine einzige Arbeit. Der Fürsprache eines berühmten Schriftstellers hatte ich es zu verdanken, dass ich eine kleine staatliche Pension erhielt, und meinem Freund Camille Corot, dass ich ein Dach über dem Kopf hatte. Er hatte mir das Haus, in dem ich wohnte und für das ich keine Miete zahlen konnte, geschenkt. Verarmt und fast erblindet, konnte ich rund vier Wochen vor meinem Tod noch miterleben, dass sich mein Kampf gelohnt hatte, denn mein Land war endgültig von der Monarchie befreit und sollte es bleiben. Wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendeschluss am 4. Juni 2024

Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 04/2023: Pierre-Auguste Renoir (1841–1919)