Fresko-­Kunsträtsel

No. 04/2023

Wer bin ich?

Kein schlechtes Wetter, keine Traurigkeit, keine Armut, keine Anklage gesellschaftlicher Missstände – meine Bilder sollten Fröhlichkeit, Glück und Eleganz abbilden. Und dies in einer bisher nie gesehenen Farbpalette, im Spiel von Licht und Schatten. Ich malte die schöne Welt, wie sie mir vor die Nase kam.

Musste man früher noch Farben aufwendig im Atelier anrühren, so konnten meine Malerkollegen und ich die überaus praktische Erfindung der Ölfarbtuben für unsere Freilichtmalerei nutzen. Im wandernden Sonnenlicht, das sich in Wolken, Wasser, Blumen, Bäumen und den eleganten Gewändern der Spaziergängerinnen und ihren Begleitern flimmernd brach, änderte sich ständig das Kolorit, Schatten waren nicht schwarz oder grau, sondern blau, grün, orange oder alles zusammen. Unsere Bilder waren ein Fest der Farben. Das sahen unsere Kritiker natürlich ganz anders. Ich wurde beschimpft, die hübschen Damen in meinen Gemälden sähen aus wie halb verweste Leichen, mit grünen Flecken im Gesicht. Diese Kleingeister. Als meine Freunde und ich eine Ausstellung mit unseren modernen Werken organisierten, waren wir daher nicht überrascht, dass die Presse unsere Bilder mit Häme kommentierte. Der Titel eines meiner Bilder wurde allerdings später namensgebend für eine ganze Stilrichtung.

Mein ganzes Leben habe ich der Malerei gewidmet. Schon als kleiner Junge begann ich zu zeichnen – auf dem Fußboden unserer Pariser Wohnung mit Schneiderkreide, die ich meinen Eltern stibitzt hatte. Als Jugendlicher wurde ich ein erfolgreicher Porzellanmaler, der mit feinen Pinseln Rokoko-inspirierte Motive auf Kaffeeservice aufbrachte, bis Maschinen erfunden wurden, die Teller und Tassen billiger bedrucken konnten. Als neue Einnahmequelle diente mir das Bemalen der Wände einiger Pariser Kneipen, schließlich wurde es jedoch Zeit, sich grundlegend als Maler ausbilden zu lassen. Eine Profession, der ich bis ins hohe Alter mit unbändigem Fleiß nachging. Auch als sich meine arthritischen Finger nicht mehr meinem Willen beugen wollten, arbeitete ich weiter und ließ mir täglich den Pinsel an die Hand binden. Als ich starb, hinterließ ich rund 7000 Arbeiten, eine Anzahl, die in der Kunstgeschichte seinesgleichen sucht. Nach Vollendung des letzten Bildes meinte ich zufrieden: „Ich glaube, allmählich verstehe ich etwas davon.“ Wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendeschluss am 13. Januar 2024
Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 03/2023:
Marietta Robusti, gen. La Tintoretta (vermutlich um 1554/55–1590)