Fresko-Kunsträtsel

No. 01/2023

Wer bin ich?

Für eine Schlagzeile bin ich immer noch gut, selbst nach so vielen Jahren. Es brodelt in der Presselandschaft, wenn sich ein vermeintlich echtes Werk von mir als billige Imitation herausstellt oder umgekehrt. Meine Bilder erzielen heutzutage Rekordpreise – ein posthumer schadenfroher Seitenhieb, denn am Ende meines Lebens reichte es für mich nur noch zu einem namenlosen Armengrab.

Dabei sah es um meine Zukunft zu Beginn recht rosig aus. Schon als Jugendlicher wollte ich Maler werden, obwohl mir der Beruf nicht in die Wiege gelegt worden war, denn väterlicher- und mütterlicherseits widmete man sich dem Mehl und nicht den Farben. Bereits in meinen Lehrjahren stellte ich mich als begabt und zielstrebig heraus, es dauerte nicht lange und mein kometenhafter Aufstieg begann: mit 18 das erste eigene Atelier, mit 25 der Sprung in die Großstadt, mit 27 Heirat mit der vermögenden Bürgermeistertochter, dann eigenes Haus, eigene Werkstatt, vier Kinder – von denen allerdings nur eines überlebte, damals leider nichts Ungewöhnliches.

Mein herausragendes Talent, Emotionen auf die Leinwand zu bannen, und die gesellschaftlichen Verbindungen meiner Frau sorgten dafür, dass meine Produktion auf Hochtouren lief, die Schönen und Reichen gingen bei uns ein und aus. Dann drehte sich das Blatt. Als meine Frau, noch keine 30 Jahre alt, starb, blieb ich mit unserem nur wenige Monate alten Sohn zurück. Auch geschäftlich verdüsterte sich die Lage. Die Aufträge wurden rarer, was an den politischen Umständen, aber auch an dem sich wandelnden Kunstgeschmack lag. Zudem hatte ich kein gutes Händchen für das Finanzielle, dafür war meine Frau zuständig gewesen, als meine Managerin behielt sie stets die Ein- und Ausgaben scharf im Blick. Und nicht nur das. Kurz vor ihrem Tod verfügte sie, dass im Falle meiner Wiederverheiratung ihr gesamtes Erbe an unseren Sohn übergehen würde. Daher lebte ich mit meiner neuen Lebensgefährtin in wilder Ehe – und trotzdem in zunehmender Geldnot. Schließlich musste ich das Haus mit all seinem Inventar verkaufen und zog mit meiner Familie in eine Mietwohnung.

Meine letzten Selbstbildnisse zeigen einen Mann, der mit Würde gescheitert ist, dem trotz Schicksalsschlägen kein Selbstmitleid ins Gesicht geschrieben steht und der bis zu seinem Tod mit 63 Jahren die Welt als seine Bühne sah – wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendeschluss am 6. Mai 2023
Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 04/2022:
George Grosz (1893–1959)