Fresko-Kunsträtsel

No. 04/2021

Wer bin ich?

Dem Bild von mir sieht man an, dass ich es schrecklich fand, mich fotografieren zu lassen. Fast feindselig blicke ich in die Kamera, mit zusammengepressten Lippen und abgewandter Schulter. Die Fotografie diente als Vorlage für eine der vielen Porträtkarten, die mein Galerist – ich nannte ihn in einem Brief an seine zweite Frau den „König incognito“ – aus Marketinggründen von all seinen Künstlern und Künstlerinnen anfertigen ließ. Zwei Jahre zuvor hatte er mich entdeckt und international bekannt gemacht. Zu dieser Zeit hatte ich beschlossen, auf alle Titel zu verzichten und meine Bilder stattdessen mit Nummern zu versehen, denn Bildtitel seien „nur widerlich romantisch“. Meine eigenwillige Art, die sich auch in meiner Malerei und meinen Holzschnitten widerspiegelt, nahm ihn für mich ein, schon bald gehörte ich zum engsten Kreis seiner Galerie. Ich war eine von rund 30 Künstlerinnen, die er vertrat, niemand seiner Konkurrenten setzte sich damals so nonchalant und selbstverständlich über das gängige Vorurteil hinweg, Frauen könnten keine ernstzunehmende Kunst erschaffen.

Als Tochter eines in seiner Freizeit malenden Marineoffiziers hatte ich als einziges seiner sechs Kinder sein Talent geerbt, das er fürsorglich mit Zeichen- und Malunterricht förderte. Als eine der ersten weiblichen Studentinnen besuchte ich eine Kunstakademie in den Niederlanden, anschließend zog es mich für ein Jahr nach Paris, wo ich u. a. im Atelier von Eugène Carrière unterrichtet wurde. Zurück in der Heimat lernte ich die Avantgardekünstler um Piet Mondrian kennen und stellte gemeinsam mit ihnen aus. Aber erst nachdem der „König incognito“ mich unter Vertrag nahm, begann meine Karriere richtig zu erblühen. Wobei er mich bezüglich meines Herzensprojektes, meine Ideen von Licht und Farbe in Glas zu verwirklichen, nicht unterstützte. Ich ließ meine Kontakte in die alte Heimat spielen und bin dort bis heute für meine originellen Fenster bekannt. Obwohl er meine künstlerische Weiterentwicklung nicht so recht mittrug und unser Verhältnis dadurch getrübt wurde, organisierte er nach meinem frühen Tod mit nur 47 Jahren eine Gedächtnisausstellung mit mehreren Stationen und widmete mir ein Bilderbuch, in dem er schrieb, ich habe Bilder geschaffen, „die die Welt bedeuten“ – wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendungen an: fresko1@hirmerverlag.de
Einsendeschluss am 7. Januar 2022
Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 03/2021:
Salvador Dalí (1904-1989)