Fresko-Kunsträtsel

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No. 02/2020

Wer bin ich?

„Ungebildeter Bastard“ nannte mich so manch einer in meiner Jugend. Als unehelicher Sohn einer Magd erhielt ich nur eine bescheidene Schulausbildung, die nach wenigen Jahren endete. Im Alter von 17 Jahren begann ich eine Handwerkslehre, mit 20 war ich bereits Meister meines Faches – und ich bildete mich auf eigene Faust weiter: Meine Wissbegier und mein Fleiß kannten keine Grenzen, die verschiedensten Themen wie Kunst, Technik, Natur, Anatomie oder Philosophie interessierten mich, ein Leben lang. Als Handwerker sah ich mich bald nicht mehr, vielmehr als individuell schaffender Künstler, wie andere selbstbewusste und fortschrittlich denkende Kollegen meiner Zeit.

Viele, ich muss zugeben, die meisten meiner technischen Entwürfe wurden nicht realisiert. Trug ich meine Ideen den jeweiligen Auftraggebern vor, wurden sie zwar geradezu euphorisch bejubelt, verschwanden jedoch häufig in den Schubladen: zu visionär, zu kostspielig, zu aufwendig. Einmal wollte ich sogar eine ganze Stadt umbauen, sie mit doppelstöckigen Straßen und einem ausgeklügelten Abwassersystem versehen. Von dem ambitionierten Projekt blieb nicht viel übrig, es wurden nur ein paar Schleusen gebaut. Anlass zur Verbitterung gab es jedoch in meinem Leben nicht, eher Grund zum Lächeln. Dieses habe ich auch einem königlichen Gast meines Brotherrn ins Gesicht gezaubert. In meiner Eigenschaft als Organisator großer Feste konstruierte ich eine bewegliche Löwenfigur, die Blumen in ihrem Innern verbarg und sie als Überraschungsmoment dem faszinierten Gast offenbarte.

Berühmt geworden bin ich jedoch nicht durch diese Spielereien, sondern durch meine Bilder. Es sind nur wenige, aber diese wurden zu Ikonen. Eines wurde sogar entführt, war verschollen, tauchte wieder auf und überstand ein Attentat.

Spricht man heute von mir, wird meist der Superlativ bemüht: Ich sei der begabteste, freundlichste, geistreichste Meister verschiedenster Künste, habe die wohl bekanntesten Werke der Kunstgeschichte geschaffen und sei obendrein von schönster Gestalt gewesen. Tatsache ist, dass dies alles stimmt – gut, vielleicht war ich nicht der Schönste unter der Sonne, ein verbürgtes Selbstbildnis ist nicht überliefert, aber insgesamt kann man mich und mein Wirken in ­einem Wort zusammenfassen: genial. Wer bin ich?

Wer bin ich?
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Einsendeschluss am 20. Juli 2020
Auf‌lösung des Kunsträtsels aus Fresko 01/2020:
Florine Stettheimer (1871–1944)