Fresko-Kunsträtsel

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No. 01/2019

Wer bin ich?

Was haben der Mensch, der Tiger und das Huhn gemeinsam? Also anatomisch gesehen. Diese Frage, die viele für einen Scherz hielten, beschäftigte mich noch auf dem Sterbebett, und mit meinem buchstäblich letzten Atemzug gab ich meiner Missbilligung darüber Ausdruck, diese Untersuchung nicht vollendet haben zu können. Meine Leidenschaft für die Anatomie hatte früh begonnen. Andere Kinder spielten mit Holzfiguren, Steckenpferden oder Zinnsoldaten, ich spielte mit Knochen. Diese hatte ich mir als kaum Achtjähriger von einem benachbarten Arzt besorgt, um kleine Studien durchzuführen und sie in Zeichnungen festzuhalten. Dass meine Eltern einer Karriere als Künstler nicht aufgeschlossen gegenüberstanden, darf angenommen werden, schließlich war meine Familie seit Generationen in der Lederverarbeitung tätig. Als ich 17 Jahre alt war, starb mein Vater und ich ging als Lehrling zum einzigen ortsansässigen Maler, der mich mit dem Umgang mit Ölfarben vertraut machte. Nach wenigen Wochen trennten sich unsere Wege, ich ging fort aus meiner englischen Heimatstadt und bildete mich autodidaktisch weiter. Schließlich landete ich an einem Krankenhaus, in dem ich sogar zum Lehrer für Anatomie aufstieg. Mit meiner Lebensgefährtin Mary, die mich unerschrocken unterstützte, sezierte ich Tiere, vor allem Pferde, machte mir Notizen und fertigte detailgenaue Zeichnungen an, die ich später in einem vielbeachteten Anatomischen Atlas veröffentlichte.

Mit ungefähr 35 Jahren begann endlich mein künstlerischer Aufstieg, allerdings stand ich als Tiermaler in der akademischen Kunstlehre auf der niedrigsten Stufe. Eine Zeitlang garantierte mir eine Tierart ein gutes Auskommen, ich malte sie von vorne, von hinten, beim Rennen, beim Stehen, beim Springen, mit Menschen, ohne Menschen. Schließlich schien alles zu ihnen gesagt, respektive gemalt zu sein, so verlegte ich mich auf ein neues Motiv: exotische Tiere, aber auch dieses Thema hatte sich bald erschöpft. Heute haben einige meiner Gemälde den Status von Ikonen, 2011 wurde eines für eine Rekordsumme verkauft. Und obwohl ich schon zu Lebzeiten auch außerhalb Englands bekannt war, geriet ich nach meinem Tod zunächst in Vergessenheit. Für diejenigen, die mich gekannt hatten, war ich entweder ein „vorurteilsloser, klarsichtiger Beobachter der Natur“, oder sie hielten mich für einen Exzentriker, „der unentwegt Porträts malte oder Leichen sezierte“ – wer bin ich?

Wer bin ich?
Das Kunsträtsel mit Gewinnchancen
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Einsendungen an: fresko1@hirmerverlag.de
Einsendeschluss am 24. April 2019
Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 04/2018: Vincent van Gogh (1853–1890)