Fresko-Kunsträtsel

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No. 04/2018

WER BIN ICH?

„Heirate sie nicht“, beschwor mich mein Bruder, als ich ihm von dem Plan berichtete, das Verhältnis zu meiner Geliebten zu legalisieren. Dass sie bereits ein Kind von einem anderen Mann hatte und ein zweites von einem weiteren erwartete, störte mich nicht. Meine Familie stand natürlich Kopf. Ich erwiderte, sie sei viel mehr als mein Modell, sie sei meine Geschäftsteilhaberin und wir seien durch ein starkes Band aufrichtiger Zuneigung aneinandergekettet und verbunden.

Der Begriff „Geschäftsteilhaberin“ war von mir zugegebenermaßen ein wenig hoch gegriffen, eigentlich gab es kein Geschäft. Vielmehr hatte ich Unterschlupf bei meinem Vetter gefunden und war als Künstler praktisch ohne Einkünfte. Nachdem ich in mehreren Berufen gescheitert war – als Angestellter in einer Kunsthandlung verprellte ich die Kunden durch mein ungestümes Temperament, und auch als Hilfslehrer und Laienprediger war ich auf Dauer nicht erfolgreich gewesen – beschloss ich, als autodidaktischer Maler mein Glück zu versuchen. Das gelang mir bis zu meinem Tod nicht, ich verkaufte zu Lebzeiten nur ein einziges Bild. Immer lebte ich von der Hand in den Mund, war abhängig von den Zuwendungen meines Bruders. Er setzte schließlich auch durch, dass ich meine Geliebte verließ. Anschließend versuchte ich, an der Kunstakademie Fuß zu fassen, zerstritt mich jedoch mit allen Lehrern, die meine Art zu zeichnen und zu malen nicht anerkannten.

Mein Weg führte mich nach Paris. Dort entstanden viele meiner heute berühmten Gemälde, die ich in einem Café erstmals ausstellte. Ein Sammler und Kunstkritiker, der mich dort kennenlernte, erinnerte sich an unser erstes Treffen. Ich habe „eine blaue Leinenhose wie ein Arbeiter getragen und mit Leidenschaft geredet. Der Freund, mit dem er trank, döste vor sich hin; und zuweilen schüttelte er sich, so heftig schleuderte er ihm seine Meinung ins Gesicht“ – man nannte mich „reizbar“ und „unbesonnen“. Dann lockte mich der Süden, mit seinen glühenden Farben, seiner Sonne und der Natur. Hier träumte ich von einer Künstlergemeinschaft, mietete ein Haus und lud Freunde ein. Auch mit diesem Plan scheiterte ich. Nach wenigen Wochen zerfiel alles im Streit und in dramatischen Szenen. Freundschaften zerbrachen, die Nerven lagen blank.

Als ich keine zwei Jahre später an einem „herrlichen, übermäßig heißen Tag“ beerdigt wurde, wie sich ein Verwandter erinnerte, waren es nicht mehr als ein Dutzend Freunde, die den Trauerzug begleiteten. Kaum war ich begraben, fand man freundliche Worte über mich, ich sei der „edelste, männlichste Charakter, dem man begegnen konnte“, gewesen, „freimütig, offen, äußerst lebhaft, mit einem gewissen Anflug von drolliger Schalkhaftigkeit“. Wer bin ich?

 

Wer bin ich?
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Einsendeschluss am 2. Januar 2019
Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 03/2018:
Gunta Stölzl (1897–1983)