Familienporträt

Die Kinder der Schweigekinder

No. 02/2019

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Art“. Als Tolstoi diesen vielzitierten Satz in seinem Roman Anna Karenina (1877/78) niederschrieb, wusste er nicht, dass sich in zahlreichen Erzählungen deutscher Gegenwartsliteraten die unglücklichen Familien sehr wohl gleichen.

Vieles kommt einem auch in Andreas Maiers Roman bekannt vor. In Die Familie erzählt der 1967 geborene Autor von einer Kindheit auf dem deutschen Land, von Familiengeheimnissen und Streitigkeiten, die – immer schon dagewesen – langsam für einen Zerfall der Idylle sorgen. Das Buch, siebter Teil einer umfangreichen Erkundung der eigenen Person, beginnt mit einer Anekdote. Eine im Grunde genommen für sich stehende Erzählung, sie spielt in einem Hallenbad.

Für den Lesenden ist es ein wenig wie das Benetzen der Arme und Beine, bevor man gänzlich eintaucht. Es geht um Erbfälle und Streitigkeiten, schlussendlich auch um das persönliche Erbe der Protagonisten, dem Umgang damit. Nur mithilfe von Erinnerungen und späten Geständnissen lässt sich die eigene Geschichte dekonstruieren. Neu erbauen kann man sie nicht.

In diesem Roman gibt es keinen Hoffnungsschimmer, Charakter werden nicht liebgewonnen und nicht verachtet. Sie sind fertig und die Geschichte ist schon passiert. „Ich selbst bin ein solcher Avatar, ohne es gewusst zu haben. Ich bin als solcher sogar schon auf die Welt gekommen. Zu mir gibt es kein Original.“ Selbst in dieser Erkenntnis stecken weder Schuldzuweisung noch Reue. Es ist eine Feststellung. Das unterscheidet diesen Roman von den vielen anderen, die sich an dem eigenen Ich und der eigenen Geschichte abmühen. Andreas Maier verlangt nicht nach Liebe, Hass oder einem Urteil.

Urgroßvaters Apfelwein und Maulwurfsjagden weichen irgendwann juristischen Auseinandersetzungen, Familienfehden und Konflikten, die längst begraben schienen und doch immer schon unter der Oberfläche brodelten. Am Ende bleiben einige Fragen offen und auf die Fortsetzung dieser Ermittlung darf man gespannt sein. la

Die Familie
Von Andreas Maier
166 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag € 20,00