Europa und das Meer

Höhepunkte aus über 2000 Jahre maritimer Kulturgeschichte

No. 02/2018

Von Wilfried Rogasch

Das Meer muss Menschen schon immer fasziniert haben. Für die einen stellte der Horizont eine Grenze dar – so war etwa China niemals eine Seefahrernation – für die anderen war die Frage, was sich hinter dem Horizont verbirgt, von brennendem Interesse und eine Herausforderung für wagemutige Seefahrer, die das Meer als Brücke betrachteten. Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt eine ambitionierte Ausstellung, deren zentrale These lautet, dass die Entwicklung Europas ganz wesentlich vom Meer bestimmt wurde und heute noch wird. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Schau löst die hohen Erwartungen in beeindruckender Weise ein.

Hafenansicht von Sevilla, um 1600, Museo Nacional del Prado, Madrid, © Madrid, Museo Nacional del Prado

70 Prozent der Erdoberfläche ist Wasser. Europa ist derjenige Kontinent, der, gemessen an Küstenlänge und Gesamtgröße, die meisten Berührungspunkte mit dem Meer besitzt. Die Schau betrachtet nicht nur die Meere, die unmittelbar an den Erdteil angrenzen: Nord- und Ostsee, Atlantik, Mittel- und Schwarzes Meer. Vielmehr wählt sie einen globalen Ansatz, in dem Lateinamerika und die Karibik, Schwarzafrika und Ostasien Teile eines weltweiten europäischen Netzwerkes bilden. Die Kuratoren haben zwölf europäische Hafenstädte ausgewählt, an denen  exemplarisch zwölf Themen von der Antike bis zur Gegenwart dargestellt werden.

So steht etwa der Hafen von Athen, Piräus, für die Aneignung des Mittelmeeres in der Antike. „Wie Frösche am Teich“, so meinte der Philosoph Platon, lägen die griechischen Städte an Küsten und auf Inseln des Mittelmeers. Dennoch war den antiken Griechen die offene See jahrhundertelang suspekt. „Wer dem Meer vertraut, kennt es nicht“, lautet ein griechisches Sprichwort. Die Griechen hatten auch kein Wort dafür, sondern nur den Begriff „thálasso“: salziges Wasser. Erst ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. bauten sie seetüchtige Schiffe, lernten Navigation, betrieben Fernhandel und gründeten weit entfernte Kolonien entlang des Mittel- und des Schwarzen Meeres. Stellvertretend für das Mittelalter wird Venedig angeführt, das damals zur Drehscheibe des europäischen Handels wurde und in dieser Ausstellung die Rolle der Herrscherin über das Mittelmeer übernimmt. Am Beispiel von Danzig wiederum wird der in Nordeuropa aktive Handels- und Städtebund der Hanse dargestellt. Durch die Hanse war Danzig mit Nowgorod in Russland, Bergen in Norwegen, Brügge in Flandern und London in England verbunden. Die Weichsel, die bei Danzig in die Ostsee mündet, erschloss zudem das weite polnische Hinterland. Hanseatische Koggen transportierten Handelsgüter wie exotische  Gewürze, Salz, edle Tuche aus Flandern und England, Bodenschätze wie Kupfer, Wein, Bier, Getreide, Holz, gesalzene Heringe, Pelze, Honig und Bienenwachs. Das spanische Sevilla, das  portugiesische Lissabon und das holländische Amsterdam verkörpern die interkontinentale Expansion nach Lateinamerika und nach Ostasien, beginnend mit dem späten 15. Jahrhundert. Der ökonomische Schwerpunkt verlagerte sich damit von Mittelmeer und Ostsee nach Westeuropa und dem Atlantik. Im Kolonialzeitalter ging es den Europäern um Ausbeutung von Bodenschätzen wie Gold und Silber, den Anbau von Baumwolle und Zuckerrohr, aber auch der erzwungenen Christianisierung und der Sklaverei. Am Beispiel des französischen Hafens Nantes wird das dunkle Kapitel des Sklavenhandels anrührend dargestellt. Weiterhin illustrieren die Schau sowie der  opulente Katalog die Massenauswanderung aus Europa, den Tourismus, die Meeresforschung und -ausbeutung sowie das Meer als Gegenstand der Malerei. Mit dem Aufsatz „Massengrab Mittelmeer“ bezieht der Katalog Stellung zum unmittelbaren Zeitgeschehen.

Europa und das Meer
13. Juni 2018 bis 6. Januar 2019
Deutsches Historisches Museum, Berlin

Ausstellungskatalog
Hirmer Verlag € 39,90 


 

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