Eugen Schönebeck

Kreuzwege eines Künstlers

No. 03/2014

Von Nicola Kuhn

Er gilt als Mythos. Doch für Eugen Schönebeck zählt sein Werk, nicht die Person. Anders als man es sonst von lebenden Legenden kennt, legt er nicht Wert auf Ruhm, sondern lebt zurückgezogen in Berlin-Kreuzberg. 

Die Wiederentdeckung seines Werks 2011 in der Frankfurter Schirn Kunsthalle sieht er rückblickend mit gemischten Gefühlen. Der Rummel war zu viel, die Freude der Besucher an seinen Bildern dagegen beglückend. Die Ambivalenz in der Rezeption seines Werks wird bleiben, diese Mischung aus Verwunderung und Bewunderung. Denn Schönebeck wagte das Unglaubliche nach kurzen zehn Jahren künstlerischer Produktion: 1967 hörte er auf zu malen und hinterließ ein vierzig Gemälde umfassendes Werk, das singulär ist. Heute gilt er als Wegbereiter der Neuen Figuration, als Pate des Siegeszugs deutscher Malerei, aus dem er sich vorzeitig davonstahl. Die Höhenflüge eines Baselitz, Lüpertz, Immendorff begannen erst nach ihm.

Ausstellungsplakat, Berlin 1965 © Benjamin Katz

Ausstellungsplakat, Berlin 1965 © Benjamin Katz

Zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit

Berlin, das ist der Ort, wo für Schönebeck die große Geschichte endet und beginnt. 1954 kommt der Junge aus Sachsen an die Fachhochschule für angewandte Kunst in Berlin-Schöneweide, um als bester Absolvent der Pirnaer Berufsschule für Malerhandwerk sein Stipendium in der Hauptstadt der DDR anzutreten. Doch das reicht ihm bald nicht. Er will Künstler werden und schreibt sich an der West-Berliner Hochschule für Bildende Künste ein.

Schönebeck ist von der Abstraktion affiziert, verschreibt sich der Ecole de Paris, denn Frankreich bedeutet für ihn Öffnung, Freiheit – im Gegensatz zur deutschen Spießigkeit und Enge. Der junge Künstler, der ein gewaltiges Nachholbedürfnis aus seiner Jugend in der DDR mitbringt, sucht sich in Paris seine Vorbilder: Jean Fautrier, Wols, Hans Hartung. Und er beginnt die französischen Dichter zu lesen, Antonin Artaud, Lautréamont, Rimbaud, deren Unbedingtheit er bewundert. Sie begleiten ihn beim Durchbruch zu einer anderen Kunst, dem Erwachsen einer gegenständlichen Malerei aus der Abstraktion heraus. Der Anfang dieser Neuorientierung fällt ins Jahr 1957 und manifestiert sich in einer der frühesten erhaltenen Tuschzeichnungen, einer Auseinandersetzung mit Van Gogh, der als Prophet der Moderne den umgekehrten Weg gegangen war.

1957 wird in noch anderer Hinsicht für Schönebeck wichtig. Er begegnet Georg Kern, der sich später Baselitz in Erinnerung an seinen Geburtsort nennt. Die beiden befreunden sich, stammen sie doch aus der gleichen Region. Dass ihre Beziehung, das gemeinsame künstlerische Ringen, den Grundstein für seinen späteren Welterfolg legt, Schönebeck aber nur wenige Jahre nach dem Bruch der Freundschaft den Pinsel für immer weglegt, lässt sich damals kaum erahnen. Schönebeck und Baselitz vereint der Zorn auf die deutsche Muffigkeit, die Enge des Kunstbetriebs, die politische Blindheit des Wiederaufbauwillens. Sie spüren, dass hinter der Begeisterung für die Abstraktion nicht nur eine Ablehnung der nationalsozialistischen Ästhetik und zugleich Abgrenzung vom sozialistischen Realismus steckt, sondern auch die Verdrängung verschütteter Bilder eines verlorenen Krieges. Dass sich für diese Bilder keine Käufer finden, zumal in der Hochzeit des Tachismus, verwundert kaum. Anfang der Sechziger gibt es in Berlin noch keinen Kunstmarkt.

Der wahre Mensch

Gleich einer kompositorischen Hilfskonstruktion findet das T-förmige Kreuz – Bildgegenstand mehrerer Kreuzigungen – auch in dem Gemälde Der wahre Mensch Verwendung, mit dem Schönebeck innerhalb kürzester Zeit eine weitere Phase einleitet. Die Formen werden kompakt, die Farben sind flächig verteilt, die einzelnen Elemente mit einer dunkelbraunen Konturlinie gerahmt. Allein der programmatische Titel und das Überformat – mit 219,5 mal 188,5 Zentimetern sein bislang größtes – deuten an, dass dieses Werk als Wurf angelegt ist. Schönebeck verknüpft darin seine Sehnsüchte nach einem politischen Aufbruch, einem neuen Sozialismus, mit seinen Kenntnissen noch als junger Transparentemaler in der DDR sowie seinen Erfahrungen als Maler.

Er begeistert sich für die mexikanischen Muralisten, Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros. Die Brücke ist geschlagen zu neuen Themen, neuen Helden. Schönebeck findet sie in Mexiko, China und der Sowjetunion, deren Protagonisten er porträtiert. Ihn interessiert weniger die politische Klasse als deren Kulturrepräsentanten: die russischen Dichter Majakowski, Pasternak und Tolstoi, den mexikanischen Maler und Poeten Siqueiros. Mao Tse-Tung malt er, weil er dessen Verse bewundert. So fügt er dem Großen Führer zwischen Mittel- und Zeigefinger als Signum eine Rose – bewusst keine Nelke. Schönebeck will an seine Helden zwar glauben, doch misstraut er ihnen, zu nachdenklich wirken sie. Gerade in dieser Gebrochenheit beruht ihre Stärke. Vom Heroismus sozialistischer Plakatkunst sind sie weit entfernt. Das Ergebnis ist keine Verschwisterung mit der Pop-Art, wie sie im Rheinland bei den beiden ebenfalls aus der DDR stammenden Künstlern Gerhard Richter und Sigmar Polke geprobt wird, sondern eine geläuterte Propagandakunst mit Peinture. Für Schönebeck wird dieser Stil zur Sackgasse, denn für seine politische Botschaft finden sich keine Adressaten, keine öffentlichen Auftraggeber. Von einem Tag zum anderen versagt er sich die Malerei, die für ihn keine Perspektive mehr bietet.