Ein weites Feld

"Steht meine Bank noch? Und die Birke?"

No. 02/2018

Wenn die Toten sprechen könnten, wovon würden sie erzählen? Vom Leben? Von den glücklichsten Momenten? Vom Unglück, Scheitern oder dem eigenen Tod? Würden sie Bilanz ziehen oder über Belanglosigkeiten schwatzen? Robert Seethaler gibt ihnen in seinem neuen Roman Das Feld eine Stimme. Seine Protagonisten sind Menschen einer Gemeinde, die viel, wenig oder nichts miteinander zu tun hatten, eines jedoch eint sie: Sie liegen alle begraben auf dem „Feld“, wie der Paulstädter Friedhof genannt wird.

„Vielleicht kann ein Mensch erst dann über sein Leben urteilen, wenn er auch das Sterben hinter sich gebracht hat“, denkt sich der alte Mann, der täglich auf den Friedhof kommt, auf einer morschen Bank unter einer krummgewachsenen Birke Platz nimmt und den Stimmen der Toten lauscht. Hanna spricht davon, dass ihr Mann 50 Jahre lang ihre Hand gehalten hat, die für ihn nicht verkrüppelt war, sondern dem knorrigen Ast eines Apfelbaums glich, der der Sonne entgegenstrebt. Der Bürgermeister des Städtchens bekennt, dass keines der schönen Worte, die an seinem Grab gesprochen wurden, wahr seien, „denn Wahrheit ist nicht mehr als eine Sehnsucht“. Die Mutter, die sich mit ihrer kleinen Tochter Lotte dem Treck nach Westen anschloss und die Schatten der Fliehenden nicht vergessen kann, „als müssten sie noch heute, ohne uns und ganz alleine, weiter ziehen“. Und dann gibt es Sophie Breyer, die den Tabakladen führte. Sie stellt mit einem Wort klar, was für sie vom Leben bleibt: Idioten.
Seethalers Roman, verfasst in seiner ihm eigenen schnörkellosen Sprache, lässt verschiedene Schicksale anklingen, die zum Teil miteinander verknüpft sind und dadurch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden können. Damit ist eines sicher: Auch über den Tod hinaus gibt es keine absolute Wahrheit, „denn die Wahrheit ist nicht mehr als eine Sehnsucht“. cv

Das FeldDas Feld
von Robert Seethaler
Roman
240 Seiten,gebunden

Hanser Berlin € 22,00