Die Künstlerin auf Jagd

Rosemarie Trockel in Voralberg

No. 01/2015

Von Caroline Klapp

Unter dem Titel Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më ein Vorarlberger Mundart-Idiom, das soviel bedeutet wie Märzschnee und Weiberschmerz sind am Morgen vergangen, widmet Rosemarie Trockel dem Kunsthaus Bregenz bis zum 6. April eine individuelle Schau – und geht auch hier mit Ironie und Kritik dem zentralen Thema ihres Werkes, der Rolle der Frau in der Gesellschaft, nach. Ein Gastspiel mit Seltenheitswert: In Zeiten, in denen Ausstellungen von einem Museum zum nächsten reisen, kündigte die vielfach prämierte Künstlerin, die den großen Auftritt gern meidet, bereits an, die nächsten sieben Jahre keine Einzelausstellung zu präsentieren.

oto: Markus Tretter. © Rosemarie Trockel, Bildrecht Wien 2015 und Kunsthaus Bregenz

oto: Markus Tretter. © Rosemarie Trockel, Bildrecht Wien 2015 und Kunsthaus Bregenz

Im obersten Stockwerk des Kunsthauses Bregenz empfängt den Besucher mystisches Halbdunkel. Zentral im Raum steht eine lebensgroße Puppe in schwarzer Wälder-Tracht, die auf dem Kopf einen Trog mit Gamsbärten balanciert. Zierlich, mädchenhaft und fragil die Statur, stark und bestimmt die Ausstrahlung. Eine Schamanin? Eine Jägerin, die mit ihrer Beute heimkehrt? Auch wenn die zentrale Figur in Rosemarie Trockels Einzelschau The critic heißt und fast kindliche Züge trägt, ist sie im weitesten Sinn als Selbstporträt der Künstlerin zu verstehen. Als wahrhaftigste Kritikerin ihrer selbst? Der gesamte weitläufige Raum ist als Allegorie des Kunst-Machens und Rezipierens angelegt. Auf die kühle Betonwand des Kunsthauses wird das Fenster des Kölner Ateliers der Künstlerin projiziert. Davor die Installation O-Ton von 2014: eine spinnwebenbesetzte, altersschwache Staffelei mit eingetrockneten Farbtuben. Sie zeugt davon, dass die Malerei als klassisch tradierte Männerdomäne nie wirklich Rosemarie Trockels bevorzugtes Medium war. Beklemmend dazu die Wandobjekte aus Gips- und Bronze-Abgüsse von Innereien wie Zunge und Herz. Eine Schlachterplatte, die – mit Uhrzeigern zu rätselhaften Wandobjekten kombiniert – auf die Vergänglichkeit alles Organischen verweist.

Der Zeitfaktor manifestiert sich im Rückblick auf das mehr als 30-jährige Schaffen einer der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen. Rosemarie Trockel war mehrfach auf der documenta vertreten, bespielte 1999 als erste Künstlerin überhaupt den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig und erzielt mit ihren Werken auf dem internationalen Kunstmarkt heute Höchstpreise. Mit dem Titel der Ausstellung Märzoschnee und Wieborweh sand am Moargo niana me besinnt sich Rosemarie Trockel auf die zentrale Thematik ihres widerständigen Œuvres: das kritische, oft ironisch humorvolle Hinterfragen tradierter Rollenklischees. Bereits in den 80er Jahren erregte die Kölner Künstlerin mit ihren legendären Strickbildern oder vertikal an die Wand montierten Herdplatten Aufsehen, indem sie geschlechtsspezifisch konnotierte Materialien und Objekte neu kontextualisierte.

Für Rosemarie Trockel ist die Künstlerschaft mit dem Frausein unlösbar verbunden. Das offenbart sich auch in den minimalistischen, neu entstandenen Wollbildern aus Acrylgarn, die zusammen mit reduzierten Möbelskulpturen im zweiten Stockwerk des Kunsthauses zu sehen sind: patinierte Abgüsse von zeitlosen Sofaklassikern, die mit dicken Plastikschonern bedeckt, jeglicher Heimeligkeit oder Funktionalität beraubt sind.

In eigens für die Wände des Kunsthauses entworfenen, höchst ästhetischen Betonrahmen wird eine Etage tiefer der scheinbar schier unerschöpfliche, sehr private Bilder-Kosmos von Rosemarie Trockel aufgeblättert. Ihre Fotoarbeiten basieren auf Handy-Schnappschüssen von Künstlerfreunden und Bemerkenswertem, auf Abbildungen eigener Arbeiten und subtiler Bezugnahme auf Werke von Künstlern, die zuvor im Kunsthaus ausgestellt haben. Insofern ist dies eine Ausstellung, die nur hier funktionieren kann und es auf wunderbare Weise tut. Im März erscheint im Eigenverlag des Kunsthauses ein zweisprachiges Katalogbuch zur Ausstellung zum Preis von 42,– Euro. Herausgeber ist Yilmaz Dziewior, der das Kunsthaus als Direktor verlässt und in Zukunft als Nachfolger von Kasper König das Museum Ludwig in Köln leiten wird.

Rosemarie Trockel Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më Bis 6. April 2015 Kunsthaus Bregenz