Clair-Obscur

Die Revolution der Holzschnitte

No. 04/2013

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde im süddeutschen Raum ein revolutionäres Druckverfahren entwickelt, das sich rasch in Italien und den Niederlanden verbreitete und die bedeutendsten Künstler zu Meisterleistungen anregte. Über 400 Holzschnitte der so genannten Clair-obscur-Technik werden aktuell in der Albertina präsentiert. Die Hälfte der Exponate stammt aus der Privatsammlung von Georg Baselitz, dem parallel eine Einzelausstellung gewidmet ist.

Giuseppe Nicola Vicentino (Rossigliani), Christus heilt die Aussätzigen, Sammlung Georg Baselitz

Giuseppe Nicola Vicentino (Rossigliani), Christus heilt die Aussätzigen, Sammlung Georg Baselitz

Lucas Cranach, Hans Burgkmair, Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien oder Hans Wechtlin – alles, was Rang und Namen hatte, lieferte seinen Beitrag zu der innovativen Holzdrucktechnik. Die Nachfrage vom Hofe Kaiser Maximilians war so groß, dass es zwischenzeitlich zu Lieferschwierigkeiten kam und Formschneider aus entfernten Kunstzentren um Zuarbeit gebeten wurden. Denn nur die versiertesten Handwerker beherrschten die ausgefeilte Technik, einen Clair-obscur-Holzschnitt herzustellen, schließlich mussten für ein Motiv mehrere Druckstöcke angefertigt und in einer festgelegten Reihenfolge übereinander auf Papier gedruckt werden.

Die Kunst lag darin, bei den ersten Druckplatten die Lichthöhungen auszusparen und die Flächen anschließend mit verschiedenen Dunkelabstufungen zu überlagern. So wurde ein „clair-obscur“ – also feine Nuancen von Licht und Schatten – erzielt und im Bild eine maximale Tiefe und Körperlichkeit erzeugt. Mit dem letzten Druck, der schwarz eingefärbten Strich- bzw. Linienzeichnung, erhielt der Holzschnitt seine charakteristische Kontur und unvergleichliche Modellierung.

In der Entwicklung der modernen Technik spielte der Humanist und Antiquar Konrad Peutinger eine entscheidende Rolle. Dem Repräsentationswillen Kaiser Maximilians verpflichtet, vergab er ab 1508 gezielt Aufträge an dem Hofe verbundene Künstler, die er zu Höchstleistungen anspornte. Unverkennbar spiegeln die entstandenen Werke höfischen Glanz und im Formenreichtum die gesamte Klaviatur der Renaissance: christliche und mythologische Sujets und Porträts mit antikischen Aufschriften und renaissancehafter Rahmenarchitektur. An den deutschen Kollegen orientierten sich italienische Künstler wie Ugo da Carpi, Antonio da Trento und Niccolò Vicentino oder Domenico Beccafumi. Ihr kreativer Umgang, sei es auf schwarze Linienplatten zu verzichten, mit unregelmäßig geschnittenen Farbfeldern zu komponieren oder große Formate einzusetzen, lieferte neue Impulse. Einen repräsentativen Querschnitt durch die Geschichte des Clair-obscur-Holzschnittes gibt die Albertina in der aktuellen Ausstellung. Anhand bedeutender, außergewöhnlicher und einmaliger Drucke erläutert sie die Entstehung und künstlerische Entwicklung eines raffinierten Druckverfahrens, das die Künstler des 16. Jahrhunderts in Atem hielt. af

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In Farbe! Clair-obscur-Holzschnitte der Renaissance Meisterwerke aus der Sammlung Georg Baselitz und der Albertina in Wien
Bis 16. Februar 2014
Achim Gnann
Hg. Albertina Wien
Katalog zur Ausstellung Hirmer Verlag € 49,90