Cinemas
Lost Places in Kuba und der DDR
No. 03/2019
Es gab einmal eine Zeit, da war das Kino der exklusive Ort für Filmprojektionen und der Kinobesuch ein ganzheitliches Erlebnis aller Sinne, von dem man lange zehrte, weil es die Realität vergessen machte. Angesichts der heutigen Verfügbarkeit von Filmen auf hunderten TV-Kanälen und dem Smartphone überfällt einen eine gewisse Sehnsucht, wenn man die Aufnahmen alter Kinos der Münchner Fotografin Margarete Freudenstadt im kürzlich erschienenen Bildband betrachtet.
Margarete Freudenstadt hielt in der Nachwendezeit den (baulichen) Zustand der deutschen Ost-Kinos bildlich fest und setzte ihnen damit ein Denkmal, bevor viele von ihnen abgewickelt wurden und mitunter modernen Kinopalästen weichen mussten. Innen wie außen porträtierte sie die Spielstätten mit der Distanz einer Dokumentaristin, aber mit dem Blick fürs Wesentliche. Über die Jahre hinweg tat sie das Gleiche in Kuba und schuf so ein faszinierendes Zeitdokument über die Architektur von Filmpalästen auf der Karibikinsel.
Freudenstadts Fotografien wirken wenig melancholisch: Der Blick der Fotografin auf die Kinopaläste ist sachlich und nüchtern und dekonstruiert gewissermaßen Wehmut und Nostalgie zu einem Imperativ des Zerfalls. Während in der DDR die Institutionen mit Namen wie Fortschritt-Lichtspiele oder Filmtheater Kosmos die Zukunft auf den Plan riefen und in ihrer Ästhetik politischen Utopien folgten, sind die kubanischen Kinos optisch ein Spiegelbild verschiedener kultureller und ideologischer Strömungen, die in ebenso vielfältigen und teils eklektizistischen Architekturen ihren Ausdruck finden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden, durchliefen Paläste wie Riviera, Acapulco oder Florida eine Reihe von Stilepochen wie Neo-Barock und Kolonialarchitektur über Art déco und Bauhaus bis hin zur Neuen Sachlichkeit. Wesentlich von Hollywood geprägt, mit einem Boom in den vergnügungssüchtigen 1950er Jahren, sind die kubanischen Kinopaläste jedoch, wie der Kunsthistoriker Peter Krieger formuliert, „symbolische Orte kollektiver utopischer Projektionen“ geblieben, wenn auch ihre Fassaden bröckeln und die Interieurs abgenutzt oder verfallen sind. Auch das Angebot an Filmen hat sich aus ökonomischen bzw. politischen Gründen verringert, und so manches Kino wird heute als Varieté oder Konzertsaal genutzt. Wie dem auch sei: Im Fotobuch haben nach wie vor Nationen an Kinogängern die Möglichkeit, eine (Zeit-)Reise in die Lichtspielhäuser auf Kuba sowie in die DDR zu unternehmen und damit zwei Orte ganzheitlichen Kinoerlebnisses zu entdecken – hier mit unendlicher Geschichte. mir
Margarete Freudenstadt Cinemas Hrsg. von Christoph Wagner Text: Deutsch / Englisch 96 Seiten, 80 Abbildungen in Farbe Hirmer Verlag € 34,90