Azteken

Die neuesten Grabungsfunde

No. 03/2019

Von Wilfried Rogasch

Genau 500 Jahre ist es her, seitdem der spanische Konquistador Hernán Cortés im Herbst 1519 die Küste Mexikos erreichte. Innerhalb weniger Jahre eroberte er das mächtige Reich der Azteken und löschte seine hochstehende Kultur aus – oder unterdrückte sie zumindest weitgehend, sodass sie nur an der Basis der Ureinwohner weiterlebte. Äußerlich waren die Azteken – soweit sie nicht in den Kriegen gefallen oder durch Krankheiten, welche die Europäer eingeschleppt hatten, dezimiert waren – zwangsweise zum Christentum konvertiert und hatten manche Wesenszüge der spanischen Lebensweise angenommen.

Götterfigur aus Grünstein oder Koralle und Spondylus, vermutlich die aztekische Gottheit Quetzalcoatl, Mexiko, Azteken, 1500–1520 © Landesmuseum Württemberg; Foto: Hendrik Zwietasch

Die Konquistadoren waren Glücksritter und Söldnerführer, die vor allem eines suchten: Gold. Man hat oft gefragt, wie es einer kleinen Schar spanischer Soldaten gelang, das Aztekenreich zu erobern, war doch dessen Heer den Spaniern zahlenmäßig vielfach überlegen. Cortés war es geglückt, die Nachbarvölker der Azteken, die von diesen blutig unterdrückt wurden, für den Kampf gegen ihre Peiniger zu gewinnen. Zudem besaßen die Spanier Pferde und Kanonen, welche die Azteken nicht kannten und die ihnen Angst einflößten. Vielleicht am wichtigsten war jedoch der Umstand, dass der Aztekenkaiser Moctezuma II. der Überzeugung war, dass die weißen Männer Götter seien, mit denen man sich gutstellen müsse. Daher hieß er Cortés in seiner Hauptstadt Tenochtitlán, das heutige Mexiko-Stadt, willkommen, überreichte Geschenke und wies ihm einen Palast als Residenz zu, der so riesig war, dass alle Spanier darin wohnen konnten. In späterer spanischer Überlieferung heißt es, Moctezuma habe sich Cortés unterworfen, doch das ist ebenso unbezeugt wie die Einzelheiten seines gewaltsamen Todes: Es wird sowohl überliefert, er sei von seinen eigenen Leuten umgebracht als auch von den Spaniern hinterrücks erdolcht worden.

Diesen und anderen Fragen geht die opulente Ausstellung Azteken nach, die mit 250 kostbaren Exponaten im Linden-Museum in Stuttgart und anschließend in Wien und Leiden gezeigt wird. Aufschlussreiche Alltags- und wertvolle Sakralgegenstände, furchterregende Waffen, rätselhafte Götterstatuen, farbenfrohe Gesichtsmasken aus einem Mosaik von Halbedelsteinen, Grabbeigaben und Schmuck, teils aus Gold, aber auch aus dem bunten Federkleid tropischer Vögel, gehören zu den faszinierenden Objekten, von denen sehr viele zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein werden. Beeindruckend sind die mit Abbildungen versehenen Codices als spanisch-aztekische Zusammenarbeit. Ausstellung und Katalog beleuchten Wirtschaftsweise und Gesellschaftsauf‌bau der Azteken, ihre Sprache, ihr kompliziertes Kalendersystem, ihre religiösen Riten wie den makabren Menschenopferkult sowie ihren durchdachten Städtebau und ihre imponierende Architektur, etwa des Kaiserpalastes Moctezumas II. und des Haupttempels Templo Mayor.

Da die Aztekenhauptstadt heute weitgehend überbaut ist, sind archäologische Ausgrabungen mit Schwierigkeiten verbunden. Auf dem Heiligen Bezirk mit dem Templo Mayor steht heute die Kathedrale von Mexiko-Stadt, die größte Kirche Lateinamerikas. Anders als in Urwald oder Wüste gibt es vor Ort aber umfassendes technisches und wissenschaftliches Know-how, schweres Gerät und Hilfsmittel, um bei Grabungen den Einsturz benachbarter Gebäude zu verhindern, Bibliotheken und Museen sowie ein großes Interesse von Politikern und Publizisten. Daher konnten zwischen 1988 und 2017 acht erfolgreiche Grabungen in der Innenstadt durchgeführt werden. Dabei kamen spektakuläre Funde zutage, die oft in der Ausstellung zum ersten Mal überhaupt gezeigt werden. Der reich bebilderte Katalog genügt allen Anforderungen der Fachwelt, wendet sich aber auch an ein großes Publikum.

Cover für AztekenAzteken 
12. Oktober 2019 bis 3. Mai 2020
Linden-Museum, Stuttgart
Katalog zur Ausstellung
336 Seiten, 400 Abbildungen in Farbe 
Hirmer Verlag € 34,90