Alles außer klassisch

Große Gesten großer Künstler

No. 02/2019

Mit Frozen Gesture. Gesten in der Malerei geht das Kunst Museum Winterthur noch bis Mitte August einer bisher kaum thematisierten, aber stilprägenden Tendenz in der zeitgenössischen Kunst nach. Die Museumsschau zeigt anhand einer herausragenden Auswahl abstrakter Malerei, welche Wirkung es hat, wenn die subjektive Geste oder eben der einzelne Pinselstrich nicht mehr hinter die Gesamtkomposition eines Bildes zurücktritt, sondern zeichenhaft wie „eingefroren“ stehen bleibt.

Roy Lichtenstein, Yellow Brushstroke, 1965
© Estate of Roy Lichtenstein / 2019, ProLitteris, Zurich. Foto: Kunsthaus Zürich

Wohl bekanntestes Beispiel und wegweisend für einen neuen Umgang mit dem Pinsel sind die legendären Brushstrokes von Roy Lichtenstein. Bereits 1965 entstehen die großformatigen Leinwände des amerikanischen Pop-Art-Künstlers, die mit jeglicher Form von Malerei-Tradition brechen. Die Malergeneration davor hatte mit Künstlern wie Pollock, de Kooning und Kline die großen Gesten auf monumentalen Formaten zwar bereits etabliert, aber der Duktus war als individuelle Handschrift des Künstlers noch heilig. Lichtenstein erklärt plötzlich einen isolierten Pinselstrich zum Bildmotiv, überführt ihn in eine alltägliche Comic-Ästhetik und stellt ihn in gelber Signalfarbe als zeichenhaftes Kürzel dar. Der „Brushstroke“ wird zum Symbol für den Abschied von der Malerei des abstrakten Expressionismus, für dessen Vertreter die Unmittelbarkeit eines expressiven Schaffensaktes noch Grundvoraussetzung war.

Die ironische Distanz des Kunstschaffenden zu seinem Werk, die sich damit etabliert, führt dazu, dass die Malerei sich seitdem permanent auch selbst in Frage stellt. Es entsteht eine Malerei, die Malerei zum T‌hema hat. Die Ausstellung in Winterthur führt vor Augen, wie unterschiedlich diese Auseinandersetzung mit der Wirkkraft des Farbauf‌trages vollzogen werden kann. Sie lässt sich in den mit der Rakel gezogenen abstrakten Bildern von Gerhard Richter ebenso erfahren wie in den riesigen, stark farbigen Raumschichtungen von Franz Ackermann, die, obwohl abstrakt, als mental maps auf gesellschaftspolitische Fragen wie Globalisierung, Mobilität und Migration Bezug nehmen. Oder in den aufgebrochenen Bildräumen von Katharina Grosse, die ab Ende der 90er Jahre mit der Spraydose Malerei im Raum schafft und sich damit über die Begrenzung des klassischen Bildträgers hinwegsetzt. Wie kaum einem anderen Zeitgenossen gelingt es ihr, eine eigene Handschrift zu etablieren, obwohl ihre Malerei ohne Berührung des Bildträgers auskommt. ck

Cover für Frozen GestureFrozen Gesture 
Gesten in der Malerei
Bis 18. August 2019
Kunst Museum Winterthur/Beim Stadthaus
Katalog Hirmer Verlag € 34,90