Zeugen der Avantgarde
Expressionistische Architektur in Berlin
No. 02/2015
Was verbindet die Maria Magdalena Kirche mit dem Eierkühlhaus, der Jüdischen Mädchenschule, dem Fernsprechamt Mitte, dem Einsteinturm oder der Chirurgischen Pferdeklinik? Diesen Gebäuden ist nicht nur gemeinsam, dass sie sich allesamt in Berlin befinden. Sie sind Beispiele einer großen Bandbreite expressionistischer Architektur und stehen für den Aufbruch der Baukunst in die Goldenen Zwanziger.

Maria-Magdalenen-Kirche in Berlin. Gebaut: 1929 – 30. Architekt: Felix Sturm Foto: Niels Lehmann
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Berlin zu einer Weltstadt und zu einem Zentrum der Avantgarde. Die Kunst-, Literatur-, Musik-, Theater-, Film- sowie die zeitgenössische Architekturszene trafen hier aufeinander, tauschten sich aus und befruchteten sich. Die Berliner Architektur war bis dahin vor allem geprägt von den großen preußischen Baumeistern, wie Karl Friedrich Schinkel, David Gilly, Peter Joseph Lenné und Friedrich August Stüler. Nun meldete sich eine Generation zu Wort, die mit ihrer Architektur etwas zu einer neuen, besseren Gesellschaft beitragen wollte: Fritz Höger, Hans Poelzig, Hans Heinrich Müller, Ernst und Günther Paulus oder Erich Mendelsohn. Ihnen ging es nicht um einen Bruch mit der klassischen Architektursprache, sondern um eine Neuinterpretation – eine „aktive Bauform der Zukunft“, wie Hans Hansen 1920 ihre Vision zusammenfasste. Diese neue, expressive Art des Bauens fand vor allem in den an das Zentrum Berlins angrenzenden Vierteln bzw. den Außenbezirken statt. Ein erheblicher Anteil der entstandenen Gebäude waren technischer Natur: Abspannwerke, Bahnhöfe, Wassertürme oder Betriebshöfe. Aber auch in Industriegebäuden, Schulen, Kirchen und Wohnhäusern findet sich der expressionistische Baustil wieder.
2010 begannen die beiden Architekten Christoph Rauhut und Niels Lehmann in Berlin und Umgebung, die Architektur des Expressionismus aufzuspüren und zu fotografieren. 135 Gebäude, viele davon in ihrer architektonischen Bedeutung vergessen und manche vom Verfall bedroht, haben sie in einem kompakten und dennoch umfangreichen Fotobuch zu einer eindrucksvollen Dokumentation zusammengestellt. Die Abbildungen werden zum Teil um Grundrisse und Planungszeichnungen ergänzt, und eine Berlinkarte mit genauen Standorten der Bauwerke bietet eine praktische und einladende Orientierungshilfe. um
Fragments of Metropolis Berlins expressionistisches Erbe Hrsg. von Christoph Rauhut und Niels Lehmann Mit einem Vorwort von Hans Kollhoff Hirmer Verlag € 24,90