Carlo Scarpa

Zwischen Moderne und Tradition

No. 04/2016

Von Cordula Gielen

„Architektur muss kostbar sein“, so beschrieb der venezianische Architekt Carlo Scarpa sein Verständnis von Architektur, das weit über den gezielten Einsatz edler Materialen hinausging. Er verstand Architektur als Handwerk, als intensives Auseinandersetzen mit Material, Form und Anordnung vor allem in Zeichnungen, die ebenso Zeugnis seiner seltenen Detailbesessenheit sind.

Carlo Scarpa, La Tomba Brion, 1978, San Vito d’Altivole, Fotografi e Klaus Kinold, 1985 © Foto: Klaus Kinold, München

Carlo Scarpa, La Tomba Brion, 1978, San Vito d’Altivole, Fotografi e Klaus Kinold, 1985 © Foto: Klaus Kinold, München

Carlo Scarpa (1906–1978) war ein Verfechter der organischen Architektur des 20. Jahrhunderts, deren berühmter Vertreter Frank Lloyd Wright ihm ein Vorbild war. Obwohl Scarpa wenig, zumindest nichts Großes baute, leistete er mit seinem „unzeitgemäßen Konservatismus“ einen revolutionären Beitrag zur Architekturgeschichte: In Zeiten, als Technik begeisterte, verpflichtete er sich dem Handwerk und entwarf Bilder, die eine Brücke zwischen Moderne und Tradition, zwischen Natur und Kultur bildeten.

Kein letztes Ziel

Bei dem Familiengrab für die Unternehmerfamilie Brion in San Vito, nördlich von Treviso, lässt sich dies in besonderer Weise nachvollziehen. Auf dem 2000 Quadratmeter großen, L-förmigen Grundstück, das zu zwei Seiten den ortseigenen Friedhof tangiert, fasst eine 45 Grad inwärts geneigte Mauer fünf frei angeordnete Baukörper. Scarpa kommuniziert mit seiner Tomba Brion keine Gewissheit vom Tod, sondern realisiert einen „sinnlichen Raum der Pluralität“: unterschiedliche Räume, unterschiedliche Perspektiven, kein letztes Ziel. Die Veränderung bezog er dabei als festen Bestandteil ein, sei es das Verwittern des Materials oder das Gedeihen der Vegetation. Der Ort, der dem Tod verpflichtet ist, ist zugleich Ausdruck von Leben.

Mosaike, integriert in die aus Beton gegossenen Elemente, zwei sich überschneidende Bronzeringe in der Mauer des Eingangsbaus, Abtreppungen, die sich durch den Spiegel der Wasseroberfläche bis auf den Grund eines Beckens fortsetzen: Die Sprache der Formen und Details ist reich und zeugt nicht nur von Scarpas handwerklichem Können. Sie verleihen dem Ort seine Tiefe und seine Symbolik, setzen Impulse für die Deutung des Diesseits, des Jenseits und des Übergangs vom einen ins andere. Der Architekturfotograf Klaus Kinold hat Scarpas Meisterwerk 1985, etwa zehn Jahre nach Fertigstellung, in einer „Art Idealzustand zwischen Fertigstellung und Verfall“ abgebildet. Angelehnt an die Vertreter der Neuen Sachlichkeit um 1930 und mit einem Gespür für die Absichten des Architekten gelangen ihm Aufnahmen, die nicht inszenieren, sondern die einzigartige Magie des Ortes einfangen. Bis zum 23. Dezember ist eine Auswahl der rund hundert Aufnahmen umfassenden Bilderserie der Tomba Brion von Klaus Kinold in der Kunstgalerie Walter Storms in München zu sehen.

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Carlo Scarpa. La Tomba Brion San Vito d’Altivole 
Fotografie Klaus Kinold 
Hrsg. von Hans-Michael Koetzle 
Hirmer Verlag € 35,–