Der Goldene Schnitt

Alles Schön oder was?

No. 03/2016

Was verbindet die Ananas, die Mona Lisa, das Alte Leipziger Rathaus, die Doppelhelix unserer DNA und einen Kohlkopf? Es ist der Goldene Schnitt, der sich in unzähligen Objekten, in Kunstwerken, bei Tieren, Blumen und Menschen nachweisen lässt. Die Proportion des Goldenen Schnitts empfinden wir als harmonisch, ist er also die Weltformel für „das Schöne“?

Patricia Waller, Fibonacci-Ananas, 2008, Heinz Nixdorf Museums Forum © Foto: Peter Boesang

Patricia Waller, Fibonacci-Ananas, 2008, Heinz Nixdorf Museums Forum © Foto: Peter Boesang

Erwähnung in der griechischen Antike in Euklids Elementen sind die Menschen von der „göttlichen Teilung“ fasziniert, im 19. Jahrhundert wurde der Goldene Schnitt gar zur universellen Konstante des Harmonischen erhoben. Um dies besser nachvollziehen zu können, unternehmen wir, gemäß der Behauptung Galileo Galileis, das Universum sei in der Sprache der Mathematik geschrieben, einen kleinen Exkurs in dieselbe – und damit direkt in den Obstkorb:

Vereinfacht dargestellt, besagt das Proportionsverhältnis des Goldenen Schnitts, dass sich Teile zueinander im Verhältnis 1:1,618 verhalten, bei einer entsprechend zweigeteilten Strecke verhält sich also die gesamte Länge zu dem größeren Abschnitt wie der größere Abschnitt zum kleineren. Dieses Prinzip findet man auch in Rechtecken, Dreiecken, Winkeln oder Spiralen, wie zum Beispiel bei der Ananas. Auf ihrer Oberfläche sieht man zueinander versetzte, spiralförmig angeordnete Schuppen. Wissenschaftler sprechen von den Fibonacci-Spiralen. Die Fibonacci- Folge besteht aus den Zahlen 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34 usw., man erhält sie, indem man die zwei aufeinanderfolgenden Zahlen miteinander addiert. Dividiert man wiederum eine Zahl durch die nächst kleinere in der Reihe, erhält man ein Ergebnis, das nahe am Goldenen Schnitt liegt, teilt man beispielsweise 8 durch 5, erhält man 1,6. Die Anzahl der Spiralen der Ananas sind ebenfalls Zahlen aus der Fibonacci-Folge, je nach Größe der Frucht.

Bedeutet das nun, dass die ohne Zweifel formschöne Ananas die Weltformel der Schönheit in sich trägt? So einfach ist es glücklicherweise nicht. Denn dies würde u.a. implizieren, dass Schönheit eine messbare Größe wäre. Eine langweilige, geradezu gefährliche Vorstellung.  Die Geschichte des Suchens nach einer „Weltformel“ steht ebenso im Fokus wie sein Mythos und die vielen Fehlinterpretationen. Aber auch seine Rolle bei den aktuellen Gestaltungsprinzipien sowie die Frage nach der Relevanz des Goldenen Schnitts für visuelle Kommunikationsstrategien untersucht die Berliner Schau. Das handliche Buch, das das Potenzial hat, über die Ausstellung hinaus ein Standardwerk zu diesem Thema zu werden, ist übrigens nach dem „göttlichen Prinzip“ gestaltet, einfach schön. um

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Göttlich, Golden, Genial. Weltformel Goldener Schnitt? 
Bis 26. Februar 2017 Museum für Kommunikation Berlin 
Katalogbuch zur Ausstellung Hrsg. von O. Götze und L. Kugler 
Hirmer Verlag € 29,90

Englische Ausgabe:
DIVINE GOLDEN INGENIOUS
The Golden Ratio as a Theory of Everything?
Hrsg. von O. Götze und L. Kugler 
Hirmer Verlag 24,00 £