Der Geigenbauer Martin Schleske – Eine Begegnung

N0. 01/2012

Von Katrin Plica

„Eine Geige zu bauen, bedeutet, dem Musiker eine Stimme zu geben. Das ist weit mehr als ein bloß physikalischer Vorgang. Man greift damit an das Innere des Menschen.“
© www.schleske.de

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Über 140 Geigen hat Martin Schleske bisher gebaut, rund 250 Stunden arbeitet er an einem Instrument. Er gehört zu den Besten seines Fachs, die renommiertesten Musiker kommen in seine Werkstatt. Doch kommt es auch vor, dass der Geigenbauer ein Instrument nicht fertigstellen kann, weil der gewünschte Klang nicht entstehen will. Für Martin Schleske entwickelte sich der Geigenbau mehr und mehr vom Schaffensprozess zum Schöpfungsvorgang. Mit Holzmesser und Ziehklingen werden für den Geigenboden winzige Späne aus dem Holz ge schnitten. Mit einem Abstecheisen die Wölbung ausgestoßen. Dem Verlauf der Holzfasern spürt ein kleiner Messinghobel nach. Der Weg zum fertigen Instrument, die vielen unterschiedlichen Arbeitsgänge in der Werkstatt, sind für ihn zu einem Gleichnis des Lebens geworden. „Alles, was lebendig ist, genügt nicht einer Konstruktion. Wir sind keine Konstruktionen und wir haben oft diese Zwanghaftigkeit, dass wir meinen, das Leben muss so und so laufen und so und so müssen Beziehungen sein.“ Alles beginnt mit einem guten Holz. Lediglich einer von 10 000 Bergfichten- Stämmen ist ein sogenannter „Sänger“, aus dem eine gute Geige überhaupt entstehen kann. Diese seltenen Bäume wachsen nur in Hochgebirgsregionen auf nährstoffarmem Boden. Unter diesen Umständen bilden sie, über zwei oder drei Jahrhunderte hinweg, ein feinjähriges und ausreichend astfreies Holz mit engen und gleichmäßigen Jahresringen. Schon beim Fällen offenbaren diese „Sänger“ dem Fachmann einen glockenartigen Klang. Und das Klingen einer Geige und die Formbarkeit der Töne sind für Martin Schleske eine persönliche Passion, der eigentliche Gehalt eines Instruments: „Man muss den Klang unter dem Bogen kneten können, wie Ton in den Händen des Töpfers.“

Martin Schleske © Donata, Wenders, Berlin

Martin Schleske © Donata, Wenders, Berlin

Martin Schleske, geboren 1965, ist Geigenbaumeister und Physikingenieur. Eine Lehre in der Geigenbauschule in Mittenwald konnte ihm die gewünschten tieferen Einblicke und Zusammenhänge zunächst nur unbefriedigend vermitteln. Dieses Phänomen kannte er aus seiner Schulzeit: „Im Nachhinein würde ich sagen, dass ich das Gymnasium als etwas erlebt hatte, wo unentwegt Fragen beantwortet wurden, die ich gar nicht gestellt hatte. Das, was mich wirklich interessiert hatte, war kein schulisches Thema.“ Das Abitur holte er später nach, um Physik zu studieren und den Geheimnissen der Akustik und des Klangs auf möglichst vielen Wegen nachspüren zu können. Seine Instrumente werden von weltweit konzertierenden Solisten und Musikern gespielt. Mit seiner Familie lebt er in Gauting bei München.

 

978-3-466-36883-9
Der Klang. Vom unerhörten Sinn des Lebens
Martin Schleske 
Kösel-Verlag € 21,