Marmor, Stein und Tageslicht

Das neue Akropolismuseum besticht durch seine Transparenz

No. 04/2011

Von Wilfried Rogasch

Schon wieder Griechenland? Man kann als herbstlicher Kulturtourist Athen besuchen, ohne viel von der unendlichen Eurokrise zu spüren. Den Syntagma-Platz mit dem Parlament, einst Residenz des aus Bayern importierten Königs Otto, trennt nur eine U-Bahnstation von der Akropolis. Syntagma gehört den Politikern und Demonstranten, die Akropolis den Touristen.

Neuester Anziehungspunkt ist das 2009 eröffnete Akropolismuseum zu Füßen des Tempelberges, eines der genialsten Museumsneubauten des 21. Jahrhunderts. In großartiger Rationalität werden in dem Glasbau sämtliche bildhauerischen Elemente des Parthenon in Originalen oder Kopien präsentiert. Im obersten Geschoss ist dem schweizerischfranzösischen Architekten Bernard Tschumi ein Clou gelungen: Die Museumsarchitektur nimmt auch hier direkten Bezug auf den Parthenon, den Haupttempel der Akropolis, den der Besucher bei seinem Rundgang stets im Blickfeld behält. So bilden Museum und antike Stätte eine Einheit, wie man sie in dieser Weise nirgends auf der Welt findet. Das Gebäude ist absolut erdbebensicher, da es nicht mit dem Untergrund verbunden ist, sondern auf Gleitpendellagern ruht. Riesige Glasfelder im Fußboden gewähren Blicke auf die darunterliegende Stadtstruktur. Das Erdgeschoss ist als ansteigende Prozessionsstraße zum Burggipfel zu deuten. Gleich einem Schnitt durch geologische Schichten sind rechts und links der Straße hinter Glas die verschiedenen historischen Schichten mit vielfältigen Alltagsfunden zu sehen. Das nächste Geschoss birgt farbige Skulpturen der archaischen Zeit, die seit 1863 aus dem sogenannten „Perserschutt“ geborgen worden sind. Nach der Zerstörung der Akropolis durch die Perser wurden beim Wiederaufbau unter Perikles die übrig gebliebenen Ruinen zur Planierung des Untergrundes genutzt.

Pferdekopf vom Viergespann der Selene, Ostgiebel des Parthenon, Akropolis, um 437/432 v. Chr., British Museum London, © Hirmer Fotoarchiv

Pferdekopf vom Viergespann der Selene, Ostgiebel des Parthenon, Akropolis, um 437/432 v. Chr., British Museum London, © Hirmer Fotoarchiv.

Im dritten Stock des Museums hat Bernard Tschumi den Parthenon im genauen Maßstab und in exakt paralleler Ausrichtung nachgebaut, um den gesamten Parthenonfries in ganzer Länge und originaler Abfolge zeigen zu können. Zur epischen Fülle des 160 Meter langen Frieses gehört eine gewaltige Kavallerie. Die antiken Griechen hatten eine besondere Affinität zu edlen Rossen, wovon der häufige Vorname Philip („der Pferdefreund“) und Wett rennen als olympische Disziplin zeugen. Das berühmteste edle Ross des Skulpturenschmucks ist das Pfer de haupt (siehe Abb.), das Goethe ein mal zärtlich das „Urpferd“ genannt hat. Es zählt zum Streitwagen der Göttin Selene, die der Kopfgeburt der Göttin Athene beiwohnt. Ursprünglich vom Ostgiebel des Parthenon stammend, befindet sich das Original allerdings seit 1816 im British Museum in London.

Eigentlich sollte das Museum zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen eingeweiht werden. Die Bauverzögerung erfüllte besonders die Briten mit Häme, die von der griechischen Regierung seit 30 Jahren zur Rückgabe der in London befindlichen Stücke aufgefordert werden. Mit der Eröffnung des von Kritik wie Besuchern gleichermaßen gepriesenen Baus 2009 hat das wichtigste Argument der Briten, die Griechen seien nicht in der Lage einen konservatorisch und sicherheitstechnisch tadellosen Bau zu erstellen, an Relevanz verloren. Doch geht Neil MacGregor, Direktor des British Museum, auch jetzt in die Offensive, um die Rückkehr der in London befindlichen Teile des Frieses zu verhindern: Das British Museum zähle zu den ganz wenigen Universalmuseen, in dem Besucher sämtliche menschlichen Kulturen in unmittelbarem Vergleich studieren könne. London sei als internationales Luftkreuz günstig erreichbar, so dass jeder Mensch auf der Welt sich min destens einmal im Leben eine Londonreise leisten könne. England sei aller Erfahrung nach nicht bedroht von Kriegen, Bürgerkriegen, korrupten Diktaturen, illegalem Kunsthandel, Überschwemmungen oder Erdbeben, was für viele Weltgegenden gelte und stets mit Gefahren für die Kunst verbunden sei. Wenn diese von Mac Gregor verkündete „Pax Britannica“ auch unterschlägt, dass London im Fadenkreuz islamistischen Terrors liegen könnte, so haben seine Argumente durchaus Gewicht. Und er erhält Schützenhilfe von seinen Kollegen im Louvre, der Eremitage, der Berliner Museumsinsel und dem Metropolitan Museum in New York. Nach heutigen juristischen und moralischen Ansprüchen sind extrem viele der in den großen Museen der Welt gezeigten Schätze nicht durch einwandfreien Erwerb in die großen Kunsttempel gelangt. So wird es also wohl eine lange Zeit so bleiben, dass der Parthenonfries sowohl in London als auch in Athen zu sehen sein wird. Der weitaus stimulierendere Aufbewahrungsort freilich ist seit 2009 Athen – die „Elgin Marbles“ in London, wie der Skulpturenschmuck nach seinem Stifter Lord Elgin in Großbritannien genannt wird, wirkt so, als hätte er ein Facelifting dringend nötig. Übrigens gibt es auch sehr preiswerte Flüge zwischen Athen und London.