Kunst im Gericht

Eine Arbeit von Clifford Ross in Texas

No. 03/2013

Von Paul Goldberger

Trotz des beträchtlichen künstlerischen und architektonischen Ehrgeizes beim Bau von Gerichtsgebäuden in den USA während der letzten Generation sind nur wenige der in diesem Kontext entstandenen Kunstwerke speziell auf ihren Ort bezogen. Kaum ein Künstler scheint sich dafür entschieden zu haben, etwas zu schaffen, das sich auf die jeweilige Region bezieht, und nur selten hat einer mit den Architekten enger zusammengearbeitet, um sicher sein zu können, dass sein Werk sich auch sinnvoll mit der Architektur verbindet, deren Teil es nun ist. Wie das bekannte Calder-Mobile oder die Skulptur von Henry Moore scheinen solche Kunstwerke oft eher als Kontrapunkt zur Architektur konzipiert und nicht als Partner.

Die monumentale Glasmalerei von Clifford Ross am Eingang des Gerichtsgebäudes von Austin (Texas) setzt Maßstäbe. Ein Foto, das Ross von einer nicht weit von Austin gelegenen Landstraße in Texas gemacht hat, bildet die Grundeinheit seines komplexen, vielfältig facettierten Kunstwerks, das nirgends sonst als in diesem neuen Gericht seinen Platz finden könnte.

Clifford Ross, Harmonium Mountain I, 2008, Videostill einer Studioarbeit, zugleich Vorstudie zur Austin Wall © Clifford Ross Studio

Clifford Ross, Harmonium Mountain I, 2008, Videostill einer Studioarbeit, zugleich Vorstudie zur Austin Wall © Clifford Ross Studio

Der Spezialist aus München

Es ging aus einer außergewöhnlich engen und produktiven Zusammenarbeit hervor – zwischen Ross, den Architekten Mack Scogin und Merrill Elam, deren Büro das Gebäude entwarf, dem Glaskunstspezialisten Michael Mayer von der Firma Franz Mayer in München und den Bundesrichtern Andrew Austin und Lee Yeakel, welche bei diesem Projekt die Richterschaft vertraten und darauf drangen, dass Architektur und Kunst des Gebäudes eine Verbindung zur Region zum Ausdruck bringen sollten. Clifford Ross ist ein Künstler, für den das Prozesshafte entscheidend ist. Trotzdem haben seine vollendeten Werke eine Eleganz und eine Virtuosität, die wenig vom komplexen Herstellungsprozess erkennen lassen. Er ist besonders an der Materialität seiner Produktionen interessiert und arbeitet mit zahlreichen verschiedenen Werkstoffen, die er auf eine ganz neue Art und Weise einsetzt.

Eine monumentale Arbeit zu schaffen, für welche die Aufbringung von fotografischen und digital veränderten Bildern auf Glas entscheidend ist, stellt eine Herausforderung dar. Ross wählte als Partner für dieses Vorhaben die Firma Franz Mayer in München, einen auf die technische Herstellung von Glaskunstwerken spezialisierten Betrieb. Michael Mayer, der in der fünften Familiengeneration die Firma leitet, hat eng mit Ross zusammengearbeitet; er entwickelte neue Techniken und kombinierte sie mit jahrhundertealten Methoden, um die Bildwelt des Künstlers auf Glas zu bringen. Handgemalte Partien verbanden sich mit einer einzigartigen Form von digitalem Druck, digitaler Ätzung und mehrfachem Brennen in einem Spezialofen in Österreich, damit die großen Doppelglasscheiben entstehen konnten, aus denen die neun mal neun Meter messende Wand zusammengesetzt ist. Jedes Glaskunstwerk hängt stark von dem Licht ab, in dem es zu sehen ist, und sein Anblick ändert sich dramatisch mit der Natur und Lokalität der Lichtquellen. Die Arbeit von Ross befindet sich nahe einer gläsernen Außenwand und wird tagsüber hauptsächlich durch natürliches Licht beleuchtet. Je nach Sonnenstand – ob im Morgenlicht, kräftigen Nachmittagslicht oder im weichen Licht der Abenddämmerung – verändert es seine Wirkung. Ergänzendes Kunstlicht kann tagsüber und nachts von vorn und hinten einfallen und die Oberflächenanmutung des Glases ändern. Die sorgfältig orchestrierte Verteilung der geätzten Partien der Glasvorderseite lassen unter den verschiedenen Lichtverhältnissen spektakuläre Glanzlichter entstehen.

Clifford Ross, The Austin Wall (Abend), 2013 © Clifford Ross Studio

Clifford Ross, The Austin Wall (Abend), 2013 © Clifford Ross Studio

Die Sensation Licht

Der untere Abschnitt verändert ebenfalls sein Aussehen unter verschiedenen Lichtbedingungen, da durch die Halbtonmuster in Schwarz und Weiß, welche das Bild formen, eine gewisse Transparenz entsteht. Weil dieses Bild auf schwenkbaren Flügeltüren angebracht ist, erhält das Werk eine weitere Dimension der Veränderlichkeit. Drehen sich die Scheiben um neunzig Grad, entsteht aus den zwei Segmenten eine Art Glaskorridor, und der Besucher hat zu beiden Seiten die Hälften des Landschaftsbildes, als ginge er durch die Landschaft hindurch – eine ungewöhnliche Erfahrung, bei der man allerdings einen wichtigen Gesamtaspekt des Werkes aus den Augen verliert: die kräftige Dialektik zwischen dem oberen und unteren Teil, die nur sichtbar wird, wenn beide sich auf derselben Ebene befinden.

monumental und heiter

Paradoxerweise erschließt sich also dieses dreidimensionale Werk zweidimensional am tiefsten. Ross hat ein Werk von hohem visuellem Reichtum und gleichzeitig konzeptueller Tiefe geschaffen. Es ist ein Destillat aus Farbe und Bewegung, es ist eine Feier der Landschaft von Texas Hill Country und es ist eine Erforschung tieferer, fortwährender Themen des Kunstschaffens: die Beziehungen zwischen Realismus und Abstraktion, zwischen Durchsichtigem und Opakem, zwischen Digitalität und Handarbeit. In Austin hat Clifford Ross ein Werk geschaffen, das monumental ist in seinem Ehrgeiz und wunderbar heiter in seiner verwirklichten Form.

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Textauszug aus: 
Clifford Ross Through the Looking Glass
Englisch
Mit einem Beitrag von Paul Goldberger
Hirmer Verlag € 49,90