Vokabular des Lebens
Geseko von Lüpke im Gespräch mit Alexandra Hendrikoff
No. 01/2014
Interview geführt von Geseko von Lüpke
G: Du nennst deine Arbeit „noetische Hand Arbeiten“. Wofür steht diese Bezeichnung?
A: Das Adjektiv „noetisch“, aus dem ich den Begriff „noetische Hand Arbeiten“ für meine Arbeit bildete, ist mir in dem Buch eines Gehirnforschers über synästhetische Sinneswahrnehmungen begegnet. Für mich beschreibt es jenes geistige Erkennen, das auf ganz anderen Wegen Wissen sammelt als die übliche wissenschaftlich-analytische Labor-Erkenntnissuche. Denn in ihr nimmt man Objekte aus dem Naturzusammenhang heraus, zerlegt sie in Einzelteile und versucht darüber die Ganzheit zu begreifen. Ich verstehe unter noetischer Erkenntnissuche, sich selbst, mit allen Sinnen und viel Empathie in das Umfeld zu begeben und über das genaue Beobachten wahrzunehmen.
G: Dieses Bild geht weg von der klassischen westlichen Herangehensweise, Realität sezierend, zerlegend, tötend wahrzunehmen. Ist das, was du versuchst, ein lebendiger, mitfühlender Ansatz?
A: Ja, auf jeden Fall. Ich entferne mich von einer Haltung, die sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst gern eingenommen wird. Wenn ich von Aristoteles lese, wie er den Bildhauer als den Macher beschreibt, der die rohe unbestimmte Materie nimmt und Neues schafft nach seinem Willen, wiederstrebt mir das genauso wie die wissenschaftliche Ebene, die ebenso dominant vorgeht, um Erkenntnis zu gewinnen. Für mich ist es „selbstverständlicher“, mich ins pulsierende Getümmel zu begeben, mitzuschwingen, die Dinge und Prozesse von innen zu verstehen. Das hat viel mehr mit Empathie, hoher Achtsamkeit sowie Respekt zu tun. Die sinnliche Wahrnehmung ist für mich ein wesentlicher Teil der Bildhauerei, und ich versuche dabei wortwörtlich, die Welt zu begreifen, mit meinen Händen, mit allen Sinnen.
G: Das kreative Feld, das du abdeckst, ist mit Bildhauerei, Elementen der Land Art und Arbeiten auf Leinwand vielseitig. Wie skizzierst du deinen künstlerischen Weg?
A: Im Vordergrund steht immer das Thema, das mich beschäftigt. Ihm folgt die Frage, in welchem Medium es sich ausdrücken lässt. Daraus erwachsen fast ausschließlich räumliche Arbeiten. Die Wahl der Materialien ergibt sich aus dem Inhalt – und da ist alle Freiheit nur gut. Sich nicht einzuschränken, schenkt neue Herausforderungen.
G: In deinem Atelier stehen große Plastiken neben Arbeiten, die so fein sind, dass sie auseinanderzufallen drohen.
A: Ich hab’ in der Akademie ganz klassisch mit lebensgroßen Akten begonnen, weil mich Körper, das Im-Körper oder Ein-Körper-sein interessiert hat. Mit der Zeit sind meine Arbeiten immer zarter geworden und die Fragilität des Seins immer präsenter. Für mich ist diese Zartheit näher an der Lebendigkeit, an der Realität der Vergänglichkeit und an der Wandelbarkeit der Existenz in jedem Augenblick.
G: Gibt es in der Kunstgeschichte ähnliche Arbeiten?
A: Ich denke, dass es den Ansatz schon immer gegeben hat, als Urgrund für jegliche kulturelle Äußerung, mit Natur zu tönen, tanzen, malen, formen, um kommunizierend Schöpfung zu begreifen. Auch nach der in unseren Kulturen entstandenen Trennung von Mensch und Natur tauchte dieser Ansatz immer wieder auf, zum Beispiel bei den sinnlichen Blütendarstellungen von Georgia O’Keeffe, den bunten Kreisen („dots“) von Yayoi Kusama oder Pipilotti Rists multidimensionalen Kamerafahrten über Körper, Pflanzen und Landschaft.
G: Schöpfst du aus der Kunst der Natur, um Neues zu schaffen?
A: Ja, mit allem Mut zum Dilettantismus. Sie ist natürlich uneingeschränkt die Meisterin, und ich gehe da in den Kindergarten und spiele ein bisschen mit.
G: In den neueren Arbeiten baust du Löwenzahnsamen in Hohlkörper. Willst du damit eine Art Schöpfungsakt sichtbar machen?
A: Es ist für mich auf jeden Fall eine große Sehnsucht, davon mehr zu verstehen. Wie trifft es sich, dass tatsächlich Leben entsteht? Woher kommt der Impuls des Lebendigen? Wie, wo und wann entsteht der Moment, da es sich materialisiert? Das ist für mich ein riesiges Faszinosum, um das meine Arbeit, meine Suche kreist. Ich glaube, mein Leben ist zu kurz, um das wirklich zu verstehen. Ich wünsche mir tiefer einzutauchen, ein bisschen davon zu begreifen.
Interviewauszug aus: Alexandra Hendrikoff – Metamorphosis Hirmer Verlag € 29,90 Mit einem Beitrag von Cornelia Gockel Ausstellung: Galerie Up Art, Neustadt Bis 27. April 2014 www.upart-online.de