Spiel und Regeln für Kunst im öffentlichen Raum

Im Gespräch mit Kasper König

No. 01/2017

Kasper König, Ausstellungsmacher und Doyen der deutschen Kunstszene, war Leiter der Städelschule in Frankfurt, langjähriger Direktor des Museum Ludwig in Köln und 2014 Kurator der manifesta 10 in St. Petersburg. Anfang Juni eröffnen unter seiner künstlerischen Leitung zum fünften Mal die Skulptur Projekte in Münster. Alle zehn Jahre realisieren eingeladene Künstler ortsspezifische Projekte und bespielen den öffentlichen Raum der westfälischen Universitätsstadt. Im Reigen der in diesem Jahr kulminierenden Kunst-Großveranstaltungen – Documenta 14 in Athen und Kassel, Biennalen in Venedig, Istanbul und Lyon – nehmen die Skulptur Projekte eine Sonderstellung ein: Der hysterischen Schnelllebigkeit der Kunstszene mit ständig wechselnden Künstler-Stars und Kuratoren wirkt der Turnus von zehn Jahren auf angenehme Weise entgegen. Kasper König steht seit 1977 für die Glaubwürdigkeit des kuratorischen Konzepts. Caroline Klapp hat ihn für Fresko interviewt.

Kasper König in seinem Arbeitszimmer Foto: © Benjamin Katz

Kasper König in seinem Arbeitszimmer Foto: © Benjamin Katz

 

1977 haben Sie gegen teils heftigen Widerstand der Bevölkerung die Skulptur Projekte Münster initiiert. Was war damals Ihr Anliegen?

KK: Der Anlass für die erste Ausstellung war eine lokale Kontroverse, Auslöser dafür war die Schenkung einer Skulptur des amerikanischen Bildhauers George Rickey an die Stadt Münster. Es ging uns darum, Aufklärung zu schaffen – weit entfernt von „ach, jetzt machen wir mal eine Ausstellung“! Als ich gefragt wurde mitzumachen, lehnte ich zunächst ab, denn ich komme aus dem Münsterland, bin dort weggegangen und wollte nie wieder zurück. Später war ich sehr glücklich, alle zehn Jahre in Münster sein zu können. Der Kustos am westfälischen Landesmuseum, Klaus Bußmann, hat damals entschieden, dass es notwendig ist, über die Geschichte der modernen Skulptur zu informieren. Damit die Leute überhaupt wissen, worüber sie reden. Die Aggression war extrem und angeheizt durch die lokale Presse. Deswegen war es wichtig, eine Ausstellung zum Thema „autonome Skulptur“ zu machen. Der Begriff stammte von Laszlo Glozer, der zu dieser Zeit Kritiker der SZ war und den ich gebeten hatte, die Einführung zu meinem aktuellen Part Skulptur Projekte zu halten.

Was war das Konzept?

KK: Wir hatten zwölf Künstler eingeladen, ihren eigenen Standort und ihren eigenen Vorschlag zu entwickeln. Entscheidend war, dass wir sie nicht interpretierten, sondern ihnen die Möglichkeit boten, sich selbst intensiv mit der Stadt zu beschäftigen, einen Standort zu wählen. Wir waren als Ausstellungsmacher bereit, das Risiko voll mitzutragen und redeten nur, wenn wir gefragt wurden.

Wer wurde eingeladen?

KK: 1977 waren das vorwiegend Amerikaner wie Claes Oldenburg, Donald Judd, Richard Serra oder Carl Andre. Ich lebte zu dieser Zeit in New York – aktuelles Thema dort war die Beziehung von Kunst und Öffentlichkeit, sprich: Auftraggeber ja oder nein, wie weit soll bzw. dürfen Sponsoring und Förderung gehen? Da gab es sehr konkrete Antworten: Carl Andre sagte damals, das Verständnis von Kunst habe sich soziologisch total verändert – es gibt Leute, die interessieren sich für Fußball, andere für Pornografie, andere für Kunst, das heißt wir leben in einer atomisierten Gesellschaft, und das Denkmal oder die Kunst mit großem K gibt es so nicht mehr.

Welche Position beziehen Sie heute in einer zeitgenössischen Kunstszene, die immer kurzlebiger ist?

KK: Das ist eine angenehme Herausforderung: Dadurch, dass die Skulptur Projekte nur alle zehn Jahre stattfinden, ist vieles weitgehend auch wieder vergessen. Man wird daran erinnert, wenn man Münster besucht. Die Skuptur Projekte sind auf Verlangsamung aufgebaut. Wer wirklich was wissen will, bleibt mindestens zwei Tage. Kommenden Sommer wird das Performative sehr stark ein, es ist eben kein Festival, sondern eine Ausstellung von dreieinhalb Monaten. Ich bin in diesem Jahr nur noch der künstlerische Leiter, die entscheidenden Figuren sind Britta Peters und Marianne Wagner, die Kuratorin am Museum und Chefin des Archivs. Britta hat das Konzept im Detail ausgearbeitet und permanent aktualisiert – Marianne ist für die Kontinuität zuständig. Eine gute Konstellation. Bei mir lautet die Parole: im Zweifel immer für die Künstler. Wir nehmen uns sehr viel Zeit. Was ist wichtig, warum, wen laden wir ein? Nicht weil jemand gerade berühmt oder bekannt ist, sondern weil wir glauben, er kann einen Beitrag leisten, der für ihn wichtig ist und für uns. Es sind jetzt 35 Künstlerinnen und Künstler.

Betrachtet man die Künstlerliste der letzten vier Skulptur Projekte, fällt auf, dass Sie viele der heute angesagten Künstler bereits sehr früh zur Teilnahme eingeladen hatten. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Künstler aus?

KK: Die Hälfte meiner Zeit habe ich an Kunstschulen verbracht: einige Jahre in Kanada am College of Art & Design in Nova Scotia, ein paar Monate am CalArts in Valencia, Kalifornien, und zwölf Jahre an der Städelschule Frankfurt. Dadurch habe ich den Kontakt zu einer jungen Generation gesucht, nicht weil sie besser oder schlechter ist, sondern weil sie einfach anders tickt. Drei oder vier Künstler sind nicht zuletzt deshalb eingeladen worden, weil Britta Peters und ich während der letzten Semester eine Gastprofessur an der Akademie in Münster hatten. Die Stimmung dort ist sehr gut momentan, sehr angstfrei, sehr offen und nicht so sehr auf Künstler fixiert, die im Kunstmarkt gerade angesagt sind.

Im Rahmen der Skulptur Projekte Münster sind einige epochale Skulpturen entstanden, wie zum Beispiel Claes Oldenburgs Giant Pool Balls am Ufer des Aasees. Warum gelingt es so selten im öffentlichen Raum, Werke zu platzieren, die wirklich funktionieren und über eine reine Stadtmöblierung hinausgehen?

KK: Weil das immer mit Kompromissen behaftet ist. Es gibt viele Fälle, in denen Künstler durch einen Wettbewerb einen Auftrag bekommen haben, der dann in der Realisierung völlig vom ursprünglichen Weg abging. Oder die Umgebung ändert sich so stark, dass der Kontext nicht mehr da ist, dass die Leichtigkeit fehlt, die Eleganz, der Witz. Es ist therapeutisch kein Fehler, wenn man sich mit Kunst im öffentlichen Raum beschäftigt, weil man das Spiel und die Regeln jedes Mal neu erfinden muss.

Die Stadt München versucht immer wieder – zuletzt mit der von Elmgreen & Dragset 2015 kuratierten Ausstellung A Space Called Public –, den öffentlichen Raum zu bespielen und tut sich schwer damit, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit vorzudringen. Warum gelingt das in Münster und nicht hier?

KK: München hat eine außergewöhnliche Position: Hier gibt es eine wunderbare Lesbarkeit der Stadt. Für mich steht der Föhn, der die Dinge so deutlich sichtbar werden lässt, in Verbindung mit de Chirico, der hier studiert hat. Und auch Leo von Klenze ist eben etwas anderes als Schinkel. Es ist ein besonderes lokales Ferment – so wie eben Weißwürste vor zwölf gegessen werden müssen! Ich war anderthalb Jahre in München und war sehr gern hier, hatte vorher aber keinerlei Bezug zu dieser Stadt. Karl-Valentin-Fan war ich immer, und eine Kultur lässt sich ja immer am besten an den Komikern – also ihren ungehorsamen Intellektuellen – festmachen. Sein Ausspruch „Die Zukunft war früher auch besser“ ist ein philosophisches Momentum. Mich interessiert Achternbusch, die frühen Filme von Fassbinder, Lion Feuchtwangers Erfolg. Er zeigt, durch welche gesellschaftlichen Strukturen sich München später zu einer Art Kalifornien der Bundesrepublik entwickeln konnte mit clean industry, BMW, Tourismus usw. Die Vorteile einer konservativen Gesellschaft werden oft unterschätzt. Beständigkeit hat auch große Qualitäten. In dem Punkt bin ich ein Föderalist und gegen Zentralismus.

Die Umsetzung von Projekten im öffentlichen Raum verlangt immer ein bestimmtes strategisches Feingefühl. Es gilt Missverständnisse zu vermeiden, aber sie auch zuzulassen, denn jeder guckt anders. Also kein Dogma und kein Programm, sondern Vielfältigkeit, aber kein Pluralismus im Sinne eines „alles geht“.

 

Die Werke der diesjährigen Ausstellung Skulptur Projekte sind vom 10. Juni bis 1. Oktober 2017 im gesamten Stadtraum von Münster zu sehen. Die letzte Woche bekanntgegebene Liste der 35 teilnehmenden Künstler/innen liest sich überzeugend gleichberechtigt wie auch international und verspricht Neuentdeckungen: Neben bekannten Namen wie Thomas Schütte, Cosima von Bonin, Ayse Erkmen und Pierre Huyghe finden sich junge Künstler wie Ei Arakawa, Nora Schultz und das Duo Peles Empire, die einer breiten Öffentlichkeit bisher weniger geläufig sind.

Nähere Informationen unter: www.skulptur-projekte.de.