Karin Kneffel

No. 04/2012

Von Cornelia Gockel

Karin Kneffels Gemälde locken den Betrachter durch ihre große Sinnlichkeit. Vollreife, saftige Pflaumen und knallrote, knackige Kirschen scheinen zum Greifen nah und bleiben doch unerreichbar. Dicke, großgemusterte Teppiche mit bedrohlich wuchernden floralen Motiven und auf Hochglanz polierte Böden führen in bürgerliche Interieurs. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint, denn die Regeln des gebauten Raumes sind durch Spiegelungen souverän außer Kraft gesetzt. Kneffel arbeitet mit bekannten Sujets, um uns mit ihrer virtuosen Malerei die Doppelbödigkeit des vermeintlich Vertrauten vor Augen zu führen.

Bekannt wurde die 1957 in Marl geborene Künstlerin durch ihre Porträts von Tieren – Hühnern, Schafen und Kühen –, die sie schon in den frühen 90er Jahren in der Galerie Rüdiger Schöttle zeigte. Der Münchner Galerist hatte die Meisterschülerin von Gerhard Richter bei einem Rundgang durch die Düsseldorfer Akademie entdeckt. Das Selbstbewusstsein, mit dem sie damals unpopuläre Motive ins Bild setzte, ist ihr bis heute geblieben. Ungeachtet der Diskussion über das Ende der Malerei hat sie ihren Weg weiter verfolgt. „In meinem Malerleben ist die Malerei schon dreimal tot gesagt worden“, erinnert sie sich schmunzelnd. Zu unserem Gespräch hat Karin Kneffel drei dicke Katalogbücher mitgebracht, die Publikationen zu ihren letzten großen Ausstellungen: Verführung und Distanz im Ulmer Museum 2006, ihre große Retrospektive 2010 in der Kunsthalle Tübingen und Haus am Stadtrand im Haus Esters in Krefeld 2009. Seit diesem Jahr wird sie auch von der renommierten Gagosian Gallery in New York vertreten, bei der Künstler wie Julian Schnabel, Damien Hirst, Jeff Koons und Cindy Sherman ausstellen.

Auf den Spuren von Mies van der Rohe

KarinKneffel,ohneTitel,2012–2014

KarinKneffel, ohneTitel, 2012–2014

Kneffel, die von 2000 bis 2008 eine Professur an der Hochschule für Künste in Bremen hatte und seit 2008 an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrt, ist eine der bekanntesten deutschen Malerinnen. Große Aufmerksamkeit erregte der Zyklus von Gemälden, den sie für ihre Ausstellung im Haus Esters geschaffen hat. Das von Ludwig Mies van der Rohe zusammen mit der Innenarchitektin Lilly Reich entworfene Gebäude zählt zu den Ikonen der modernen Architektur. Bei ihren Recherchen zur Geschichte des Hauses ist Karin Kneffel auf alte Fotografien gestoßen, die Einblicke in das Interieur vermitteln. Sie geben Zeugnis vom Wunsch der Bewohner nach bürgerlicher Wohnatmosphäre, die in starkem Kontrast zu dem nüchternen Gebäude steht. Kneffel nähert sich dieser Privatheit in ihren Gemälden aus einer voyeuristischen Perspektive. Sie leitet unseren Blick durch dünne Gazevorhänge und regennasse Fensterscheiben, auf denen sich die Bäume aus dem Garten spiegeln, ins Innere des Hauses. „Dieses Bild hier“, erzählt Karin Kneffel und deutet auf eine Sitzgruppe mit Polstermöbeln im Gelsenkirchener Barock, „dieses Bild von mir hat Larry Gagosian in der Sammlung eines Künstlers entdeckt und sich so dafür interessiert, dass er mich kennenlernen wollte.“ Im Herbst dieses Jahres lud er sie dann zu einer Einzelausstellung in seine New Yorker Galerie in der Madison Avenue ein.

„Das ist wie bei einem Trommler“

In ihrer Auseinandersetzung mit Mies van der Rohe folgte sie dem Architekten in die USA, wohin er 1938 übergesiedelt war. Dort schuf sie einen neuen Zyklus mit Interieurs zum Seagram Building, das Mies van der Rohe zusammen mit Philipp Johnson 1958 als sein erstes bedeutendes Gebäude in New York errichtet hatte. Wie so oft reiste Kneffel in Begleitung ihrer Studenten zur Ausstellungseröffnung – diesmal nach New York. Assistenten für ihre Malerei benötigt sie jedoch nicht. Selbst die Leinwände spannt sie eigenhändig über die Keilrahmen. „Ich muss die richtige Spannung spüren“, erklärt sie, „das ist wie bei einem Trommler.“ Mit einem feinen Pinsel malt sie die Farbe in vier Schichten auf die grundierte Leinwand auf. Mehr als einen Monat dauert es, bis ein Gemälde schließlich fertig ist. In München ist sie seit längerer Zeit wieder in einer Einzelausstellung zu sehen. Die Galerie Fred Jahn zeigt eine Auswahl von Aquarellen, die in engem Bezug zu ihren Gemälden stehen, jedoch durch das kleinere Format wesentlich intimer erscheinen. Sie sind verheißungsvoll wie die Momentaufnahmen aus einem Film, dessen Geschichte man noch erkunden muss.