Fresko-Kunsträtsel

No. 01/2013

WER BIN ICH?

Ich war kein hübsches Kind. Mein Vater, der mich zärtlich liebte, unterstützte mich vielleicht auch deshalb sehr früh in meinem Bestreben, Malerin zu werden, da er annehmen durfte, meine Karriere durch keinerlei Liebesverstrickungen behindert zu wissen. Bereits mit 14 Jahren erhielt ich sowohl von einem Maler als auch einem Kupferstecher Unterricht und fand kurz darauf in meinen Zeichnungen zu den Motiven, die mich später berühmt machen sollten. Meine Eltern seufzten gelegentlich „Kind, warum denn so düster, es gibt doch so viel Erfreuliches zu malen“, fanden sich jedoch bald damit ab, dass mich die Darstellung der bürgerlichen Welt wenig reizte. Entgegen der Voraussage meines Vaters, nie einen Mann zu finden, verlobte ich mich im Alter von 17 Jahren mit einem Freund meines Bruders. Vielleicht ein wenig zu voreilig, so erschien es mir zumindest, als ich nach einem Jahr auf der Künstlerinnenschule in Berlin nach München in die Georgenstraße zog und dort das Schwabinger Künstlerleben genoss. Es waren die schönsten Jahre meines Lebens. Ich befand mich in einem chronischen Zustand des Verliebtseins – Männer, Frauen – meist wussten diejenigen nichts von meinen Gefühlen. Trotzdem heiratete ich wenig später meinen Verlobten und wir zogen nach Berlin. Es wurde eine lange, glückliche Verbindung, aus der zwei Söhne hervorgingen und in der ich von meinem Mann große Unterstützung für meine Kunst fand. In Berlin sah ich das Elend, die stillen Tragödien des Großstadtlebens, die Kehrseite der Industrialisierung. Ich habe mit meiner Kunst Partei ergriffen und angeklagt. Dafür, dass ich das soziale Elend nicht hinnehmen wollte, bin ich oft kritisiert worden, das kümmerte mich wenig. Als mein jüngerer Sohn im Krieg fiel, gab ich mir allein die Schuld. Unbegreiflicherweise hatte ich ihn bei seinem Wunsch unterstützt, sich als Kriegsfreiwilliger zu melden, 14 Tage später war er tot. Meine Trauer, meine Schuldgefühle, den Irrsinn des Krieges und das Leid aller Zurückgebliebenen hielt ich in meinen Kunstwerken fest, um daran zu erinnern, dass nur eine Gesellschaft, die von Pazifismus und Internationalismus geprägt ist, Zukunft haben kann. Dass ich im Dritten Reich keinen Fuß auf den Boden bekommen habe, versteht sich von selbst. Meine Werke verschwanden aus den Museen, meine Anstellung musste ich „freiwillig“ aufgeben und Auszeichnungen wurden mir aberkannt. Dass ich auf der Seite derjenigen stand, die „gemaßregelt“ wurden und Nachteile einzustecken hatten, war für mich eine Selbstverständlichkeit, und ich beklagte mich nicht, gab es doch Künstler, denen es weit schlechter erging. Das Kriegsende habe ich nicht mehr erlebt. Ich starb wenige Wochen zuvor im Alter von 77 Jahren. Nicht zu Hause, sondern – aber das ist eine andere Geschichte.

Wer bin ich?

– Wer bin ich? –

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 Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 04/2012: Sep Ruf (1908 –1982)