Fresko-Kunsträtsel

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No. 03/2018

WER BIN ICH?

Als meine Tochter nach meinem Tod gefragt wurde, wie sie mich beschreiben würde, fiel ihr als Erstes die Eigenschaft „mutig“ ein. Ich hätte mich eher als lebenslustig, sozial und gut organisiert beschrieben, aber mutig? Vielleicht war es mutig, sich auf dem ersten Mädchengymnasium in München gegen das Naserümpfen der Gestrigen zu behaupten, vielleicht war es auch mutig, mich als kaum 20-Jährige freiwillig als Rotkreuzschwester im Ersten Weltkrieg an die Front zu melden, aber gewiss erforderte es von mir keinen großen Mut, mich an einer Kunstschule zu bewerben, die als innovativ galt und mich mit offenen Armen empfing. Der Direktor, dem ich meine Bewerbungsmappe mit einigen Zeichnungen aus dem Krieg unter die Nase hielt, nahm mich sofort in seinem Institut auf. In meinem Tagebuch notierte ich damals glücklich: „Ein neuer Anfang. Ein neues Leben beginnt.“ Sieben Jahre später rückte ich als erste Frau in die oberste Riege der Lehrer auf, ich war sozusagen im Olymp angekommen. Eine Fotografie aus dieser Zeit zeigt mich im Kreis meiner männlichen Kollegen: Mit meinen 29 Jahren wirke ich selbstbewusst und zufrieden. Einige von ihnen besuchten mich später im Exil, es wurde viel gelacht und über die alten Zeiten gesprochen. Waren sie gut, die alten Zeiten? Teilweise schon. Sieht man einmal davon ab, dass wir Frauen bei aller Fortschrittlichkeit der Schule nicht wirklich gleichberechtigt waren, war es dort großartig.

Meine Arbeit fiel zwar durchaus in das klassische Frauenrollenmuster, aber im Gegensatz zu einigen meiner Mitstudentinnen und Schülerinnen, die sich nur widerwillig mit der Materie beschäftigten, war diese künstlerische Tätigkeit für mich seit Beginn Berufung und Leidenschaft. Das Experimentieren mit modernsten Materialien, meine neuartigen Ansätze und das Entwerfen ausgefallener Designs ließen mich zur Pionierin auf diesem Gebiet werden. Auf der Höhe meiner beruflichen Karriere und privaten Glücks – ich war in der Zwischenzeit verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter – nahmen Intrigen und Diffamierungen zu. Als an meine Tür in der Schule ein Hakenkreuz geschmiert wurde, wusste ich, dass ich mit meiner Familie schleunigst das Land verlassen musste. Dann kam die Zeit, in der ich wirklich Mut beweisen musste. Meine Ehe zerbrach, ich fand mich mit meinem Töchterchen in einem fremden Land wieder, galt lange als staatenlos, musste noch einmal ganz von vorne anfangen – und schaffte es. Ich gründete in der neuen Heimat Schweiz eine Werkstatt, heiratete erneut und bekam 1943 eine zweite Tochter. Bis zu meinem 70. Lebensjahr arbeitete ich künstlerisch und entdeckte noch im Alter neue Formen des Ausdrucks. Heute sind meine Werke in den wichtigsten internationalen Sammlungen vertreten und wohlbekannt. Weniger bekannt ist, dass ich für eines der berühmtesten Gemälde des 20. Jahrhunderts Modell stand. Ein guter Freund und Kollege malte es, dessen 130. Geburtstag dieses Jahr landauf landab gefeiert wurde. Wer bin ich?

Wer bin ich?
Das Kunsträtsel mit Gewinnchancen
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fünf Bücherpakete im Wert von € 100,–.
Einsendungen an: fresko1@hirmerverlag.de
Einsendeschluss am 10.November 2018
Auflösung des Kunsträtsels aus Fresko 02/2018:
Carl Philipp Fohr (1795–1818)