Rachel Eisenberg und ihre Ex

Mord im Obdachlosenmilieu: Der neue Krimi von Andreas Föhr

No. 02/2016

Mit dem „Wallner & Kreuthner“- Ermittlungsduo wurde Andreas Föhr zum Bestsellerautor, nun übernimmt Anwältin Dr. Rachel Eisenberg die Recherche. Nach zahlreichen Krimis wie Wolfsschlucht, Totensonntag oder Prinzessinnen ist jüngst sein Roman mit dem Titel Eisenberg erschienen, der mitten in die Kanzlei der Münchener Anwältin führt…

Eisenberg von Andreas Föhr

Eisenberg
Ein Kriminalroman von Andreas Föhr
Knaur Verlag

Heiko Gerlachs Brauen waren schwarz und dicht mit einzelnen grauen Haaren, die braunen Augen lagen wach, aber ruhig in tiefen Höhlen. Graumelierte Haare wucherten ungestüm über einer eckigen Stirn und bedeckten an manchen Stellen den Hemdkragen. Ein Meter fünfundneunzig. Er musste sich bücken, als ihn ein Wachebeamter hereinführte. Jede von Gerlachs Händen war so groß, dass er sein Gesicht damit hätte bedecken können, die Nägel sauber. Der Gefangene stakste zum Tisch, neben den Rachel ihr Köfferchen gestellt hatte. Unter dem Anstaltshemd, das er offenbar in Ermangelung eigener sauberer Kleidung bekommen hatte, zeichnete sich ein knochiger Oberkörper ab, breite, leicht hochgezogene Schultern, kaum Fett. Rachel wich die Farbe aus dem Gesicht, als er durch die Tür trat. In ihrer Erinnerung waren die Haare kürzer und dunkler. Ein, zwei Sekunden schwankte sie, hielt es für einen Spuk, den ihr Gehirn sich ausgedacht hatte, eine zufällige Ähnlichkeit, frappierend, ja. Aber es war unmöglich. Ihr Mandant war ein Obdachloser namens Heiko Gerlach. Nicht Professor Heiko Opitz. Er zog den Stuhl zurecht, deutete ein Lächeln an und setzte sich. Bedächtig legte er die Unterarme auf die Tischplatte und faltete die Hände. »Rachel«, sagte Gerlach. »Schön, dass du kommst.« Sie kannte den Blick. Zwei Jahre hatte sie mit dem Mann, der vor ihr saß, Tisch und Bett geteilt. »Ich bin anscheinend überraschter als du«, sagte Rachel, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Gerlach?« »Der Name meiner Frau. Wir sind schon länger getrennt. Der Name ist das Einzige, was mir von ihr geblieben ist.«

„Wir wären nicht glücklich geworden“

Sie sahen sich eine Weile an, als müssten sie sich neu justieren, die Veränderungen des anderen seit der letzten Begegnung verarbeiten. »Siehst blendend aus.« Gerlach strahlte sie an. »Hat dir gutgetan, mich nicht zu heiraten.« »Ja, hab’s nie bereut.« Gerlach quittierte die Bemerkung mit einem kurzen Lachen, nicht bitter. Ein Lachen wie über eine Dummheit, die so lange her ist, dass man sie von der heiteren Seite sehen kann. Gerlachs Lachen verebbte und wich einem müden Blick, in sich gekehrt und leer. Der Blick war Rachel fremd und vertraut zugleich. Heiko Gerlach war auf eine gewisse Art noch der Mensch, den sie kannte, aber in den letzten sechzehn Jahren hatte sich etwas verändert. »Sie sagten, du lebst auf der Straße?« »Ja. […] Die letzten Jahre ist es ziemlich den Bach runtergegangen.« Gerlach versuchte, ein heiteres Gesicht zu machen. Aber die Wehmut behielt die Oberhand. »Was war der Auslöser?« […] »Vor drei Jahren hat mich Helen, meine Frau, verlassen. Ist mir, wie du weißt, nicht das erste Mal passiert.« »Wir wären nicht glücklich geworden.« »Stimmt. So was in der Art hat Helen auch gesagt. Irgendwie gibt es wohl ein grundsätzliches Problem, mit mir glücklich zu werden. Nun gut. Ich bin’s also gewohnt, dass meine Frauen gehen – sollte man meinen. Aber irgendwie wird’s beim fünften Mal auch nicht besser. Um ehrlich zu sein, hat mich die Trennung von Helen getroffen wie ein Faustschlag ins Gesicht. Ich war nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Ich … ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, verstehst du? […] Irgendwann fiel auf, dass ich nicht mehr in die Uni kam. Ich ging auch nicht ans Telefon. Schließlich haben sie jemanden geschickt. Und als ich nicht aufmachte, haben sie den Hausmeister geholt.

„Eine Zeitlang hat das Geld noch gereicht.“

Ich lag betrunken zwischen Papieren und Pizzakartons auf dem Wohnzimmerteppich. Das war dann das Ende meiner akademischen Karriere. Eine Zeitlang hat das Geld noch gereicht. Aber ich hatte nie viel gespart. Vor drei Jahren kam die Zwangsräumung. Seitdem bin ich ein freier Mann. Oder war es. Bis gestern.« »Das tut mir sehr leid.« Rachel betrachtete ihn. Helen war offenbar nur die letzte Enttäuschung in Gerlachs Leben. Auch sie, Rachel, hatte also Anteil an seinem Niedergang. Jedenfalls würde Heiko Gerlach das wohl so sehen. »Wie geht’s dir?«, riss Gerlach sie aus ihren Gedanken. »Gut. Sehr gut.« »Immer noch verheiratet? Wie heißt er noch gleich?« »Sascha. Wir sind getrennt.« »Du hast es wieder getan.« Gerlach nickte, wie um zu bestätigen, dass sich eine langgehegte Ahnung erfüllt hatte. »Nein, hab ich nicht. Er hat sich getrennt.« Rachel entnahm ihrer Aktentasche ein MacBook Air und klappte es auf. »Lass uns über deine Probleme reden. […] Man hat dich …«, Rachel zögerte, »… wegen Mordes verhaftet. Was kannst du mir dazu sagen?«

81WGGRBd+JLTextauszug aus:
Eisenberg
Von Andreas Föhr 
Droemer Knaur € 14,99