Der Luther-Effekt

500 Jahre Protestantismus in der Welt

No. 02/2017

Von Wilfried Rogasch

Das letzte große Reformationsjubiläum vor 2017 war der 500. Geburtstag Martin Luthers im Jahr 1983. Damals war Deutschland geteilt, und beide Teilstaaten stritten über die Deutungshoheit der Reformation. Es fanden zwei konkurrierende Ausstellungen statt: Im Westen in der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg, die Luther „das Aug’ und Ohr Deutschlands“ genannt hatte, und im Osten in „Berlin, Hauptstadt der DDR“. Gegenseitige Unterstützung, etwa in der Form von Leihgaben, gab es nicht.

Emanuel Gottlieb Leutze, Westwärts geht das Imperium seinen Weg, 1861 © Gilcrease Museum, Tulsa, Oklahoma

Emanuel Gottlieb Leutze, Westwärts geht das Imperium seinen Weg, 1861 © Gilcrease Museum, Tulsa, Oklahoma

2017 ist Deutschland seit fast 30 Jahren wiedervereint und der Begriff „Globalisierung“ omnipräsent. Daher überrascht es nicht, dass die wichtigste Reformationsausstellung dieses Jahres Der Luther Effekt im Berliner Martin-Gropius-Bau eine globale Perspektive gewählt hat: Die Säle um den zentralen Lichthof sind in vier Viertel geteilt, und jedes ist einem Erdteil gewidmet, der jeweils durch ein Land repräsentiert wird: Europa durch Schweden, Amerika durch die USA, Asien durch Südkorea und Afrika durch Tansania. Der sehr informative Katalog zählt 15 Aufsätze und knapp 400 Exponate (Hirmer Verlag € 45,–). Einerseits spüren die Autoren der bunten Vielfalt und Wirkungsgeschichte lutherischer Kirchen in der Welt nach. Die außereuropäischen Bilder und Zeugnisse überraschen durch die gelungene Verbindung von lutherischer Lehre und eigener amerikanischer, asiatischer oder afrikanischer Kulturtraditionen. Andererseits stellen die Verfasser auch die Frage, worin die weltumspannende Gemeinsamkeit all dieser Kirchen sein könnte.

Martin Luther im Kreise von Reformatoren, 1625/1650 © Deutsches Historisches Museum

Martin Luther im Kreise von Reformatoren, 1625/1650 © Deutsches Historisches Museum

Der schwedische Ausstellungsteil erscheint am vertrautesten: Schweden wird als protestantische Vormacht im Dreißigjährigen Krieg vorgestellt. Exemplarisch für die Fortführung der Bischofshierarchie in der dortigen lutherischen Kirche ist der Umgang mit liturgischen Gewändern, die meist weiterverwendet wurden. Den Übergang in eine neue Ära repräsentiert die Neuanfertigung der Mitra von Laurentius Petri, des ersten protestantischen Erzbischofs von Uppsala. Einen neuen Aspekt bringt der amerikanische Protestantismus ein. Hier steht die Einwanderung verschiedener Gruppen im Mittelpunkt, die zu einer Vielfalt an Glaubensrichtungen und protestantischen Kirchen führte, die nebeneinander fl orierten – eine Staatskirche existiert nicht. Doch gibt es eine Gemeinsamkeit: Alle Kirchen sprechen von Amerika als dem Gelobten Land und von den Amerikanern als auserwähltem Volk Gottes. Spannend dargestellt ist die theologische Kontroverse um die Sklaverei.

Morning Glory in der Lutheran Kariakoo Church in Daressalam, Juni 2016 © Deutsches Historisches Museum/Karsten Hein

Morning Glory in der Lutheran Kariakoo Church in Daressalam, Juni 2016 © Deutsches Historisches Museum/Karsten Hein

Auf den ersten Blick irritierend, aber logisch in Bezug auf Asien ist die Auswahl von Südkorea, verfügt es doch über einen bedeutenden protestantischen Bevölkerungsanteil von etwa 20 Prozent. Zu den exotischsten Exponaten gehört der Bilderzyklus Das Leben Jesu des 2001 verstorbenen koreanischen Malers Kim Ki-chang: Jesus wird zu einem konfuzianischen Gelehrten mit schwarzem Hut und weißen Strümpfen.

Auch in der ehemals deutschen Kolonie Tansania – dem Stellvertreter für Afrika – steht die christliche Kunst in ganz eigener Tradition, wie eine holzgeschnitzte Weihnachtskrippe des Volkes der Makonde eindrucksvoll belegt. Der Kolonialismus hat die lutherische Lehre begünstigt, doch hat das reformatorische Gedankengut auch dazu beigetragen, ihn zu überwinden.

Der Luthereffekt
Bis 5. November Martin-Gropius-Bau, Berlin
Katalog: Der Luthereffekt
Hg. Deutsches Historisches Museum
Beiträge von P. Burschel, O. Czaika, A. Eckert, J. H. Grayson, M. Hochgeschwender, A. Jarlert, S. Jobs, M. Kern, Y.-J. Lee, F. Ludwig, F. Mahali, L. Minardi, J. W. Parsalaw, V. Reinhardt, U. Rublack, H. Rydving, D.Y. Ryu
Hirmer Verlag € 45,-
Fremdsprachenausgabe: English - The Luther Effect