DIE PRÄZISION IM BLICK

Die Schüler von Hilla und Bernd Becher

No. 02/2017

Von Caroline Klapp

Andreas Gursky, Pförtner, Passkontrolle, 1982 (2007) © Andreas Gursky; VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Courtesy Sprüth Magers

Andreas Gursky, Pförtner, Passkontrolle, 1982 (2007) © Andreas Gursky; VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Courtesy Sprüth Magers

Ohne Bernd und Hilla Becher wäre in der deutschen Kunstfotografie der Gegenwart nichts wie es heute ist: Wir verdanken ihnen einen Paradigmenwechsel sowie eine erstaunliche Anzahl von Schülern, die heute zu den renommiertesten Fotokünstlern weltweit gehören.

Thomas Ruff , Porträt (G. Benzenberg), 1985© Thomas Ruff; VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Thomas Ruff , Porträt (G. Benzenberg), 1985© Thomas Ruff; VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Candida Höfer, Andreas Gursky, Thomas Ruff , Axel Hütte und Thomas Struth – sie alle haben ihr Handwerk und das Sehen in der legendären Fotografie-Klasse der Bechers erlernt. Das Städel Museum in Frankfurt widmet dem Phänomen „Becher-Klasse“ momentan eine umfassende Ausstellung. Noch bis zum 13. August lässt sich erfahren, welch stilbildenden Einfluss das Künstlerpaar auf seine Eleven hatte. 1976 etablierten Bernd und Hilla Becher an der Akademie in Düsseldorf die erste Fotografie-Klasse und trugen so maßgeblich zur Emanzipation der Fotografie als autonomes künstlerisches Medium bei. Heute sind ihre Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Wassertürmen, Gasometern und Fördertürmen aus keiner retrospektiven Fotografie-Ausstellung mehr wegzudenken. Mit äußerster Präzision, Tiefenschärfe und formaler Neutralität bilden sie obsessiv die letzen Zeugnisse einer im Verschwinden begriffenen Industriekultur ab. Die serielle Wiederholung immer gleicher Motive – oft vor grau verhangenem Himmel – erlaubt ihnen die möglichst neutrale Annäherung an die beobachteten Objekte. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Präsentation der Abzüge in strengen Rastern. Diese haben grundsätzlich das gleiche Format und fügen sich an der Wand zu mehrteiligen Tableaus bzw. „Typologien“ zusammen.

Thomas Struth, The Consolandi Family, Mailand, 1996 (2014) © Thomas Struth; Deutsche Börse Photography Foundation

Thomas Struth, The Consolandi Family, Mailand, 1996 (2014) © Thomas Struth; Deutsche Börse Photography Foundation

Dieser konzeptuelle Ansatz, die formalästhetische Strenge sowie die Beschränkung auf ein Objekt sind die wichtigsten Ausgangspunkte in den frühen Arbeiten der „Becher-Schüler“. Das lässt sich in der Frankfurter Ausstellung deutlich nachvollziehen. Allerdings macht sie auch klar, wie schnell die nachfolgende Künstlergeneration ihre ganz eigenen Wege ging. Das Experimentieren mit neuen fotografischen Techniken und Vorgehensweisen sowie die Einbeziehung digitaler Bearbeitung führt zu komplett neuen Möglichkeiten. Plötzlich entstehen monumentale Formate im Diasec-Verfahren, und die Farbe wird in opulenter Brillanz gefeiert. Jeder der Becher-Schüler arbeitet fortan an seiner eigenen fotografischen Konstruktion der Realität.

Candida Höfer, Bibliothèque Nationale de France Paris XIII 1998, 1998, Deutsche Börse Photography Foundation © Candida Höfer, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Candida Höfer, Bibliothèque Nationale de France Paris XIII 1998, 1998,
Deutsche Börse Photography Foundation © Candida Höfer, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Candida Höfers großformatige Aufnahmen von öffentlichen Innenräumen wie Bibliotheken, Universitäten oder Wartesälen spielen zwar noch mit dem dokumentarischen Gestus der Bechers, gehen in der atmosphärischen Schilderung der Raumstrukturen aber auch weit darüber hinaus. Denn jeder öffentliche Raum spiegelt einen gesellschaftlichen Zustand wider, auch wenn er menschenleer ist. Andreas Gursky kommt in der Beschäftigung mit sozialen Gegebenheiten zu vollkommen anderen Wahrheiten: Er richtet seinen Fokus auf globale Knotenpunkte, an denen Menschen verkehren, Kapital kursiert oder Waren gehandelt werden.

Bernd und Hilla Becher, Gutehoff nungshütte, Oberhausen, Ruhrgebiet, 1963 © Estate Bernd & Hilla Becher; Deutsche Börse Photography Foundation

Bernd und Hilla Becher, Gutehoff nungshütte, Oberhausen, Ruhrgebiet, 1963 © Estate Bernd & Hilla Becher; Deutsche Börse Photography Foundation

Dabei dient ihm die Tokyoter Börse ebenso als Motiv wie der Flughafen Charles-de-Gaulle in Paris, ein Schwimmbad auf Teneriffa oder ein anonymer Wohnkomplex in Atlanta. Bei seinen Arbeiten, die oft von einem erhöhten Standpunkt ausgemacht sind, der sowohl die Gesamtansicht als auch einen ungeheuren Detailreichtum zulässt, handelt es sich um konzeptuelle, seit Anfang der 1990er Jahre meist digital bearbeitete, aufwendig collagierte Bildarchitekturen. Das führt zu einer optisch irritierenden Verdichtung, die im Zusammenspiel mit der oft monumentalen Größe der Arbeiten eine klare Unterscheidung zwischen Konstruktion und Wirklichkeit nicht mehr zulässt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass gerade Gurskys Arbeiten heute auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erzielen? Die Einsicht, dass Fotografie die Realität nie wertneutral oder objektiv wiedergeben kann, führte in der Becher-Klasse zur Freisetzung eines künstlerischen Potenzials und einer Offenheit, die sich keinem vorgeschriebenen Kanon mehr unterwerfen musste.

Volker Döhne, Ohne Titel (Bunt), 1979 (2014) © Volker Döhne, Krefeld 2017

Volker Döhne, Ohne Titel (Bunt), 1979 (2014) © Volker Döhne, Krefeld 2017


Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse
Bis 13. August Städel Museum, Frankfurt
Katalog zur Ausstellung: Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse 
Hirmer Verlag € 45,–