Gäste in Not
Das Gesicht in der Menge
No. 04/2016
Einen bedeutenden Beitrag zur aktuellen Flüchtlingsdebatte liefert der deutsche Fotograf Roland Fischer mit seinem neu erschienen Buch Refugees. In einem spektakulären Kunstprojekt hat er 1000 Flüchtlinge und Migranten vor seine Kamera geholt und in einem Aufnahmelager über Tage hinweg fotografiert.
Das Ergebnis dieses aufwändigen Projekts sind nahansichtige Porträts, die die Menschen aus der Anonymität der Masse befreien und ihnen ihre Individualität zurückgeben – haben Vorurteile und Ressentiments doch vor allem da eine Chance, wo sich die Meinungsbildung an einem abstrakten, unbestimmten Kollektiv abarbeitet. Gezeigt werden Gesichter in all ihrer Einzigartigkeit, versehen lediglich mit Namen, Alter und Herkunftsland. Es handelt sich um Aufnahmen, die um größtmögliche Neutralität bemüht sind und zu Einzelschicksalen schweigen. In manche Gesichter ist ein Trauma eingeschrieben – könnte man vermuten –, herauslesen ließe sich das allerdings nur aus den Blicken, denn jede Art von Mimik oder Gestik ist unterbunden. Mit diesem geschickten Kunstgriff gelingt es Fischer, die „Fremden“ in all ihrer menschlichen Würde zu zeigen, als Menschen, die nach teils monatelanger Flucht angekommen sind in einem ihnen unbekannten Land. Als „Gäste in Not“ beschreibt sie Bernhard Waldenfels, der seit Jahren die Herausforderung durch das Fremde philosophisch erforscht und in Büchern wie Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden veröffentlicht. In einem hochinteressanten Beitrag in Refugees nimmt er präzise Definitionen vor, wo häufig zu wenig differenziert wird: Was unterscheidet den Einwanderer vom Asylanten, den Flüchtling vom Migranten, und wie sollten wir als Gesellschaft mit Menschen umgehen, die in ihrer Heimat all dessen beraubt sind, was ein würdiges Leben ausmacht? ck
Roland Fischer Refugees Hg. Kunstverein Rosenheim Beiträge von Bernhard Waldenfels und Stephan Lessenich Text: Deutsch/Englisch Hirmer Verlag € 19,90