Der Himmelsstürmer

Hendrick Goltzius und sein bestechendes Talent

No. 03/2016

Er war ein Multitalent des ausgehenden 16. Jahrhunderts, der seine Vielfachbegabung mit hoher Professionalität umsetzte: Nicht nur als Kupferstecher, Maler und Zeichner feierte Hendrick Goltzius große Erfolge, sondern erlangte mit seinen eigenen Entwürfen, die vor Dynamik nur so strotzten, sowie seiner Tätigkeit als umtriebiger Verleger Ruhm und Ansehen.

Der niederländische Künstler Hendrick Goltzius (1558–1617) ging zunächst bei seinem Vater Jan II Goltz, einem Glaser und Glasmaler, in die Lehre, später wurde er vom Kupferstecher und Verleger Dirck Volckertsz ausgebildet. Goltzius folgte seinem Lehrherrn nach Haarlem und arbeitete dort für ihn als Stecher. 1582 gründete er einen eigenen Verlag und publizierte seine ersten Stiche mit dem selbstbewussten Vermerk „von Goltzius gedruckt“. Im Jahr darauf lernte er den Maler und Kunstschriftsteller Karel van Mander kennen, mit dem er sich zu einer Art Künstlergemeinschaft zusammenschloss, der auch der Maler Cornelis Cornelisz. van Haarlem beitrat.

Hendrick Goltzius, Phaeton, 1588, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett © Foto: Kunstmuseum Basel – Martin P. Bühler

Hendrick Goltzius, Phaeton, 1588, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett © Foto: Kunstmuseum Basel – Martin P. Bühler

Taillierte Linien

Der Erfolg von Goltzius’ bald „orierendem Unternehmen lag zum einen in seiner Stechkunst, in der er seinen charakteristischen Stil – „taillierte“ Linien – entwickelte und höchste Perfektion erlangte. Zum anderen besaß er ein großes schöpferisches Talent. Mit der Fähigkeit, selbstständig Bilder zu erfinden, hob er sich eindeutig von seinen Berufskollegen ab. Und nicht zuletzt verstand er es als Verleger glänzend, die Potenziale anderer Künstler optimal für sich zu nutzen. Mit 32 Jahren vefiel Goltzius „in eine derartige Schwermut, dass er fast keinen gesunden Tag mehr hatte“ – heute würde man sagen: Er hatte ein Burnout. Sein Freund und Biograf van Mander schilderte ihn als genialen, menschlich nicht ganz einfachen Zeitgenossen, der ebenso ehrgeizig wie emfindsam und nie vollständig mit sich zufrieden war. Der Erschöpfung vorausgegangen war ein umfangreicher Auftrag, mit dem Goltzius’ Werkstatt von 1588 bis 1590 betraut war: die Illustrationen zu den Büchern der Metamorphosen des Ovid. Eines der 52 Werke, die dabei entstanden, zeigt Phaeton, einen der Vier Himmelsstürmer, neben Tantalus, Ikarus und Ixion. Diese hatten durch ihr anmaßendes Verhalten den Unmut der Götter heraufbeschworen und wurden grausam bestraft. Wie Ikarus stürzte Phaeton vom Himmel, Tantalos und Ixion büßten im Tartarus ihren Hochmut. Phaeton wird in einer geradezu artistischen Pose seines muskelbepackten Körpers gezeigt, die Vogelperspektive der Darstellung lässt den Betrachter den freien Fall lebendig nachempfinden. Der moralisierende Gehalt der Geschichte findet sich in der mahnenden Inschrift wieder: „So lehrt der Sturz Phaetons, dass allzu kühne Wünsche schließlich zu keinem guten Ende führen.“ Ob es Goltzius selbst eine Warnung war? Auf jeden Fall machte er sich nach Rom auf, wo er im Januar 1591 eintraf. Während seiner Reise war er häufig inkognito unterwegs und gab seinen Diener als Künstler und sich selbst als Käsehändler aus, um unerkannt das aufrichtige Urteil anderer über seine Werke zu erfahren. Zurück aus dem Süden wandte er sich immer mehr der Malerei zu, im Jahr 1606 starb er in seiner Heimatstadt Haarlem als angesehener, wohlhabender Mann.

Die Ausstellung im Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel zeigt mit einer exquisiten Auswahl von 80 Werken die ganze Bandbreite Goltzius’ technischer Perfektion und seiner unkonventionellen Bildfindung. Darüber hinaus wird der Maler und Kupferstecher nicht nur als Künstler, sondern auch als erfolgreicher Kaufmann und Unternehmer vorgestellt. Der zur Ausstellung erscheinende, elegant gestaltete Katalog schenkt mit präzise gedruckten Abbildungen und zahlreichen Detailansichten einen umfassenden Überblick über Goltzius’ Werk. um

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Bestechend gestochen. Das Unternehmen Hendrick Goltzius
Bis 13. November 2016 Kunstmuseum Basel 
Katalog zur Ausstellung 
Von Ariane Mensger 
Hirmer Verlag € 39,90