Die feine englische Art

No. 01/2012

Von Wilfried Rogasch

Ist es Ihr Wunschtraum, (wieder einmal) nach England zu reisen, um die British Country Side zu genießen? Authentischer als die Filme von Rosamunde Pilcher ist als Reisevorbereitung die großartige Ausstellung, die jetzt in der Münchner Neuen Pinakothek zu sehen ist: George Stubbs. Science into Art ist so englisch wie Sie es englischer nicht haben können.

George Stubbs, Zebra, 1763, New Haven © Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection

George Stubbs, Zebra, 1763, New Haven © Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection

Hierzulande ist Stubbs eigentlich nur Pferdefreunden ein Begriff. Seine wirklichkeitsgetreuen, auf genaue Beobachtung und anatomische Studien beruhenden Pferdeporträts haben in England Kultcharakter. Das teuerste jemals verkaufte britische Altmeistergemälde ist ein Stubbs, der im Herbst 2011 für sagenhafte 22,4 Millionen Pfund unter den Hammer kam. Als das bedeutendste Pferdeporträt der Kunstgeschichte gilt das Bildnis von Whistlejacket, das Lady Juliet Tadgell zum Ausgleich für Erbschaftssteuern an die National Gallery gab. Das lebensgroße Gemälde, drei Mal zweieinhalb Meter groß, ist das einzige bedeutende Stubbs-Gemälde, das in der Neuen Pinakothek fehlt. In London hängt es in der Mittelachse der britischen Abteilung und zählt zu den Bildern, die die National Gallery niemals ausleiht, um das eigene Publikum nicht zu enttäuschen.

Eine Stubbs-Ausstellung hat es in Deutschland noch nie gegeben. Umso bemerkenswerter ist der Umstand, dass sich alle führenden Museen der Insel, von der National Gallery, der Tate Gallery bis zum British Museum, für die Dauer der Schau von ihren Hauptwerken getrennt haben. Die Liste der Leihgeber führt die Queen an, die mit 85 Jahren noch ebenso ein Pferdenarr ist wie ihr Mann Prinz Philip (90, sein Name bedeutet schließlich Pferdefreund!). Das Pferde rennen Royal Ascot gehört seit 300 Jahren zu den Höhepunkten der „British Season“, also des gesellschaftlichen Jahreskalenders – nicht nur wegen der extravaganten Hutkreationen der Damen, sondern aus echter Begeisterung für den Reitsport. Typisch für England ist der Glücksfall, dass sich zahlreiche der gezeigten Bilder noch immer im Privatbesitz der Lords und Ladies befinden, deren Vorfahren die Gemälde vor 250 Jahren in Auftrag gegeben haben. Oft hängen sie noch in denselben Räumen, für die sie gemalt wurden. Das sind in vielen Schlössern die Diningrooms, wohl um als Anregung für die abendliche Konversation bei Tisch zu dienen. „Sporting Art“, Porträts edler Rassepferde und Jagdhunde, reflektiert bis heute das überlegene Lebensgefühl der englischen Aristokratie, die das natur nahe Leben auf den riesigen Land sitzen gegenüber der städtischen Lebensweise der Mittelklasse bevorzugt.

Wie wenig sich deutsche und englische Kunstgeschichte überschneiden, zeigt die Tatsache, dass in ganz Deutschland nur ein einziges, kleines Gemälde von Stubbs vorhanden ist. König Max I. Joseph von Bayern hat es vor 1810 für die Pinakothek erworben. Es zeigt einen Spanish Pointer und wirkt neben den geliehenen Gemälden eher bescheiden. Das heißt aber nicht, dass Stubbs zu seinen Lebzeiten ein Unbekannter in Deutschland geblieben wäre. Seine von eigener Hand verfertigten Radierungen fanden Eingang in die Kupferstichkabinette derjenigen deutschen Adelshäuser, die mit dem in England herrschenden Haus Hannover verwandt waren. Da die Royals im 18. Jahrhundert niemals auf der Insel, sondern stets in Deutschland auf Brautschau gingen, finden wir Druckgrafik von Stubbs in vielen Sammlungen. In München gezeigt werden Kupferstiche aus dem ehemaligen Besitz der Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha.

George Stubbs, Gepard und Hirsch mit zwei indischen Wärtern, 1765, Patshull Hall, Staffordshire © Manchester, Manchester Art Galleries

George Stubbs, Gepard und Hirsch mit zwei indischen Wärtern, 1765, Patshull Hall,
Staffordshire © Manchester, Manchester Art Galleries

Mit seinen Sujets des Lebens in der Country Side – edlen Rossen und deren adelige Besitzer, Jockeys, Hofmeister, Stallburschen, Wildhüter –, ist Stubbs auch zum Chronisten des British Empire geworden. Einen spannenden Einblick in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gewährt die Serie von exotischen Tieren. Damals begleiteten Naturforscher englische Expeditionsschiffe mit dem Auftrag, Bodenschätze und Nutzpflanzen zu entdecken. Gelegentlich entwickelten die Mitglieder der Crew jedoch den Ehrgeiz, große exotische Tiere in die englischen Heimathäfen mitzubringen. Stubbs porträtierte sie alle: Löwen, die dramatisch Pferde reißen, ein urtümlich wirkendes indisches Panzernashorn, das nach 300 Jahren das vorbildhafte Konterfei von Albrecht Dürer ablöste, oder eines der ersten Zebras, die auf dem Seeweg nach England gelangten. Es war ein Geschenk König Georgs III. an seine Gemahlin, Königin Charlotte, für deren Menagerie exotischer Tiere. Stubbs hat das Zebra so naturgenau gemalt, dass sich selbst die Untergattung des Tieres bestimmen lässt.

Das schönste Gemälde der Schau kommt aus Manchester und zeigt einen Geparden mit zwei Turban tragenden indischen Wildhütern und einen Rothirsch im Hintergrund. Wahrscheinlich handelt es sich um den Geparden, den der Gouverneur von Madras 1764 nach England mitgebracht hatte, um ihn dem König zu schenken. In einer Tierschau für geladene Gäste sollte der Gepard einen lebenden Rothirschen reißen, doch mündete das Unterfangen in ein Desaster: Der Gepard griff den Hirschen mehrfach vergeblich an. Beim letzten Versuch erfasste der Hirsch die Raubkatze mit dem Geweih und schleuderte sie mehrere Meter durch die Luft. Schließlich erlegte der Gepard einen weniger wehrhaften Damhirsch. Zum 60. Thronjubiläum der Queen 2012 hat München eine hochkarätige Schau von einem der besten englischen Maler des 18. Jahrhunderts, des Goldenen Zeitalters der britischen Malerei, zu bieten. Jeder an England interessierte Münchner sollte sie gesehen haben. Und gönnen Sie sich nachher im Museumscafé eine gute Tasse englischen Tees!

978-3-7913-5169-8

George Stubbs 1724-1806. Die Schönheit der Tiere
Prestel Verlag € 39,95